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Das Gebot vom „Chinuch“ (Erziehung von Kindern) ist im Judentum sehr wichtig und unsere Weisen haben Chinuch zu einem der Schwerpunkte des jüdischen Lebens gemacht.
So wird den Kindern schon sehr früh beigebracht den Schabbat richtig zu halten und zu feiern, die Segensprüche vor und nach dem Essen zu rezitieren und auch kleine Münzen als Tzedaka (Wohltätigkeit) an die Armen zu spenden.
Auch zu allen jüdischen Feiertagen werden die Kinder begeistert und inspiriert sie zu feiern: Kinder lernen entsprechende Lieder, basteln den Berg Sinai zu Schawuot, eine Laubhütte zu Sukkot und verkleiden sich zu Purim. Das Pessach-Fest steht jedoch in dieser Reihe ganz oben. Es gibt kein anderes Fest, das so „jüdisch“ ist und sich von allen nichtjüdischen Festen unterscheidet. Auch unsere nichtjüdischen Mitbürger zünden im Dezember die Lichterketten an und verkleiden sich im Februar – so etwas jedoch wie ein Pessach-Seder mit langer Erzählung, komischem Brot und bitteren Kräutern dazu, das gibt es in keiner anderen Kultur.
Deshalb ist das Pessach-Fest am besten dazu geeignet unseren Kindern die Grundsätze und die Grundwerte des jüdischen Glaubens beizubringen.
Auch die Thora sieht es so. Denn nur bei der Beschreibung von Pessach finden wir in der Thora gleich vier Verse, die auf die Kommunikation mit den Kindern hinweisen:
Drei diese Verse befinden sich im 2. Buch Moses: „Und wenn eure Kinder zu euch sagen werden: Was habt ihr da für einen Dienst?“ (12:26), „Und du sollst deinem Sohne an jenem Tage erklären und sagen: Es ist um deswillen, was der HERR an mir getan, als ich aus Ägypten zog.“ (13:8), „Und wenn dich künftig dein Sohn fragen wird: Was ist das? So sollst du ihm sagen: Der HERR hat uns mit mächtiger Hand aus Ägypten, aus dem Diensthause, geführt.“ (13:14).
Und den 4. Vers finden wir im 5. Buch Moses: „Wenn dich nun dein Sohn in Zukunft fragen und sagen wird: Was sind das für Zeugnisse, Satzungen und Rechte, die euch der HERR, unser G“tt, geboten hat?“ (6:20).
Der Vers „Und du sollst deinem Sohne an jenem Tage erklären“ ist nicht einfach eine Empfehlung, sondern eines von 613 Geboten der Thora und jeder Jude ist von der Thora verpflichtet über den Auszug aus Ägypten zu erzählen. Dieses Gebot geht so weit, dass wenn man Pessach alleine feiert, sich diese Geschichte selbst erzählen soll!
Wenn wir die vier erwähnten Verse betrachten, dann erinnern wir uns gleich an die berühmten vier Söhne aus unserer Pessach-Haggada: „Von vier Kindern spricht die Thora: Von einem Gelehrten, von einem Bösen, von einem Naiven und von einem, der nicht zu fragen weiß“.
Es gibt sehr viele schön illustrierte Ausgaben der Haggada, und bei den Zeichnern dieser Haggadot ist diese Stelle mit den „Söhnen“ besonders beliebt: da kann man seiner Kreativität freien Lauf lassen. Der „weise“ Sohn wird meistens mit einem großen Folianten gemalt, und der „böse“ Sohn oft mit einer Zigarette oder mit Waffen. Auch die zwei restlichen Söhne werden sehr aussagekräftig dargestellt.
Jedoch hat der 7. Ljubawitscher Rebbe Rabbi Menachem Mendel Schneerson (1902-1994) diese vier Söhne auf eine absolut neue, faszinierende Weise erklärt: er hat sie als vier Generationen dargestellt.
Der gelernte Sohn ist in der Allegorie des Rebbe ein frommer Jude, der in einem russischen Schtetl Ende des 19. Jahrhunderts geboren wurde. Er hatte fromme Eltern, hat in einem Cheder gelernt und lebte immer nach jüdischem Gesetz. Und dieser fromme Jude feiert Pessach auf die klassische Art und Weise.
Der „böse“ Sohn ist sein Sohn, der schon in der neu entstandenem Sowjetunion geboren wurde, ist nicht mehr religiös und wurde sogar zum Volkskommissar bei der inneren Sicherheit. Dieser Sohn feiert schon kein Pessach mehr, und wenn er am Pessach-Abend seinen frommen Vater zufällig besucht, schimpf er, dass sie keine jüdischen Feiertage feiern sollen und das für seine Karriere schädlich sein könnte.
Die Jahre vergehen und dieser nicht-religiöse Kommissar-Sohn, kommt – nachdem er schon als Volksfeind beschuldigt wurde und in Stalins Lagern mehrere Jahre verbracht hat – schon mit seinem Sohn seinen alten frommen Vater besuchen. Und wiederum ist es zufällig eine Seder-Nacht und der Enkel, der so etwas noch nie gesehen hat, fragt seinen Opa „was ist das?“. Dieser Enkel repräsentiert den naiven, einfältigen Sohn in der Haggada.
Wieder vergehen die Jahre und nun hat schon der „naive“ Enkel einen eigenen Sohn. Aber der fromme Opa ist schon gestorben, und keiner in der Familie macht mehr einen Pessach-Seder, deshalb weiß der junge Sohn des „Naiven“ nicht einmal mehr was ein Pessach-Seder ist. Das ist der vierte Sohn in der Haggada, derjenige, „der nicht zu fragen weiß“.
Und dieser vierte Sohn ist eigentlich eine echte Katastrophe für das Judentum. Dieser Mensch hat einen jüdischen Vater und eine jüdische Mutter, hat jedoch keine Beziehung zu seiner Tradition, zu seinem Volk. Kann man ihn überhaupt noch als jüdisch betrachten?
Und gerade deshalb besteht unsere Aufgabe darin, unseren Kindern das Judentum so darzustellen, dass sie aufrichtiges Interesse daran haben und ihre Zugehörigkeit zu unserem Volk nicht nur spüren, sondern aktiv in ihrem Leben umsetzen.
Vor vielen Jahren war ich für Pessach in Antwerpen und war beim Seder in einer chassidischen Familie, die 7 Kinder hatte (fünf Jungs und zwei Mädchen). Alle Kinder bereiteten sich für diesen Seder wochenlang vor, suchten schöne Erklärungen zur Haggada und zum Auszug aus Ägypten. Beim Seder hat jedes Kind die vier berühmten „Manischtana“-Fragen gestellt („Tate, ich will dich vier kaschjos fregen“) und haben dann mit großer Begeisterung an der Haggah-Diskussion teilgenommen.
Auch die Eltern hörten aufmerksam zu und lobten jedes Kind für seine interessanten Ideen. Die Zeit verging bei diesen Diskussionen so schnell, dass man erst eine halbe Stunde vor Mitternacht bemerkte, dass man noch schnell vor dem Tageswechsel den Afikoman, das letzte Stück Matza, aufessen musste.
Alle leckere, mit Mühe vorbereiteten Speisen mussten dann vor Mitternacht sehr schnell gegessen werden – wichtig war jedoch für die Eltern nicht das Essen und nicht die schöne Unterhaltung mit den Gästen, sondern die Begeisterung und das Interesse der Kinder. Und man kann sicher sein, dass diese Botschaft bei den Kindern sehr gut angekommen ist.
Wenn wir wollen, dass auch unsere Kinder sich für jüdisches Leben und für die jüdische Tradition interessieren, müssen auch wir uns Mühe geben und den Seder so gestalten, dass er für die Kinder zum Erlebnis wird. Und dafür haben unsere Weisen uns viele Tipps gegeben.
Die Vorbereitung zum Seder sollte schon ein paar Wochen davor beginnen: Man kann mit Kindern bekannte Seder-Lieder erlernen („Ma Nischtana“, „Daj dajenu“, „Echad mi jodeah“). Auch fürs Basteln gibt es viele gute Ideen: zum Beispiel kann man springende Frösche basteln lassen und dann am Seder bei der Erwähnung der Plagen diese Frösche auf dem Tisch springen lassen.
Der Seder selbst soll so gestaltet werden, dass die Kinder nicht nur begeistert, sondern auch erstaunt werden, und sich wundern können.
So könnte man zum Beispiel anstatt der traditionellen Kartoffel für den Karpas (der beim Seder in Salz getunkt wird) Bananen oder Wassermelone nehmen. Auch für die traditionellen „Vier Becher Wein“, die Kinder natürlich mit Traubensaft füllen, könnte man ihnen Strohhalme geben. Für Kinder würde das alles sehr ungewöhnlich und amüsant sein.
Auch während des Seders sollen Kinder gut eingebunden sein: sie sollen beliebige Fragen stellen dürfen, Lieder singen und mitsingen. Auf keinen Fall darf es für sie langweilig sein: es ist besser die Haggada nicht vollständig zu lesen und keine tiefsinnige Drosches zu geben, sondern mehr Aufmerksamkeit für Fragen und Auftritte der Kinder zu widmen.
Unsere Weisen empfehlen außerdem, dass die Kinder vor dem Seder ein wenig schlafen sollen, damit sie beim Seder nicht müde sind. Talmud zitiert den berühmten Rabbi Akiva, dass die Gelehrten nur einmal im Jahr das Lehrhaus früh verlassen dürfen, und zwar am Tag vor Pessach, damit die Kinder schlafen gehen und zum Seder munter und voller Energie sind.
Und wenn die Kinder den Seder genießen und sich jedes Jahr darauf freuen, kann man sicher sein, dass unsere Nachkommen unserer Tradition treu bleiben und auch unsere Enkel und Urenkel uns beim Seder erfreuen werden!
Elischa Portnoy ist Diplom-Ingenieur der Elektrotechnik und Rabbiner in Dessau.
Der Beitrag erschien am 9. März, 2018 – 22 Adar 5778 in der Jüdischen Rundschau . Ich danke dem Verlag und der Redaktion für die Erlaubnis, ihn hier vollständig wiedergeben zu dürfen.