Ein bisschen Show muss offenbar sein. Wenn es einen Beruf mit Zukunft gibt, dann ist es der des Laiendarstellers.
Von Maxeiner & Miersch
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Tatort Köln. Unerschrockene BKA-Fahnder mit Kapuzen oder dunklen Sonnenbrillen tragen Kartons mit wichtigem Beweismaterial aus der Wohnung eines Terrorverdächtigen. Eine Szene, wie sie sich der vom Abendkrimi verwöhnte Fernsehzuschauer vorstellt. Und weil das Bundeskriminalamt sich offenbar auch vorstellt, wie die Leute sich das so vorstellen, wollte man dem Geschmack des Publikums und der Fotografen ein wenig entgegenkommen. Die Kartons waren nämlich leer und wurden kurz darauf ins Haus zurückgetragen. "BKA inszeniert Razzia-Show", schrieb die "Bild"-Zeitung.
Ein bisschen Show muss offenbar sein. Wenn es einen Beruf mit Zukunft gibt, dann ist es der des Laiendarstellers. Vogelgrippe? Dann muss die Feuerwehr mit Blaulicht und Schutzanzügen ausrücken, was zwar schwachsinnig ist, aber sehr hübsche Bilder für Fotografen und Kameramänner ergibt. Besonders gut gefallen hat uns die Aufnahme eines voll kondomisierten Helfers, der eine verendete Gans in einen Plastiksack stülpt. Er ist dicht umgeben von einem Dutzend vollkommen ungeschützter Fotografen, für die offenbar keinerlei Gefährdung besteht. Hübsch sind auch die Greenpeace-Aktivisten, die in deutschen Gentechnik-Versuchsfeldern unter Atemmasken ihr Leben riskieren, während die immer gleiche Fotografenhorde in Straßenkluft hinterherstapft und sich seit Jahren bester Gesundheit erfreut.
Ein wenig problematisch ist diese Methode nur, wenn ein Fotoreporter mal aus Versehen einen etwas größeren Bildausschnitt wählt. So gibt es eine mitreißend dynamische Aufnahme von einem wütenden Globalisierungsgegner, der beim WTO-Gipfel in Cancún einen Stein gegen die repressiven Staatsorgane schleudert. Das Foto zierte viele Gazetten, denn so sieht der Kampf der Unterdrückten aus. Auf dem größeren Bildausschnitt sind dann die näheren Umstände zu erkennen, allerdings gehören dazu weder die vermeintliche Staatsgewalt noch der Kampf gegen Unterdrückung. Stattdessen umzingelt eine Vollversammlung von Fotografen den einsamen Steinwerfer, der exklusiv für die Weltpresse den Entrechteten mimt.
Wirkliches Weltniveau bei der Ausbildung von Laiendarstellern haben inzwischen die Palästinensergebiete erreicht. Nachdem die Medienvertreter auf den ihnen zugewiesenen Fotospots eingetroffen sind, lassen sich wie auf Knopfdruck Wut, Trauer und Betroffenheit abrufen. In Fachkreisen heißt die Region inzwischen "Pallywood". Sie wird allseits wegen der Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit der Komparsen gelobt, schließlich gibt es einen Redaktionsschluss. Selbst bei mehrmaliger Wiederholung der gleichen Szene geht den Akteuren nichts von ihrer Begeisterung verloren. Inzwischen ruchbar geworden sind allerdings die Presse-Shootings der Hisbollah-Productions im Libanon, zu deren Repertoire gespielte Verzweiflungsszenen mit toten Kindern im Arm gehörten.
Der amerikanische Medienforscher David D. Perlmutter bezeichnet die sich häufenden Fälle als "Pantheon der Schande" für den Bildjournalismus. Vulgär-Symbolik triumphiert über Wahrhaftigkeit, der Unterschied zwischen Dokument und Fiktion löst sich auf. Das gut fotografierte Klischee obsiegt in den Bildredaktionen über die Wirklichkeit, selbst grobe Ungereimtheiten wecken offenbar keine Zweifel - oder werden bewusst ausgeblendet. Die Glaubwürdigkeit des Bildes befindet sich im freien Fall, und die stillschweigende Komplizenschaft der Beteiligten veranlasst uns zu einem kostensenkenden Vorschlag: Er besteht aus einer in Babelsberg nachgebauten Ruinenkulisse und einer gut sortierten Requisite. Da lassen sich wunderbare Bilder arrangieren: Mal sitzt eine stumme Greisin auf einem makellos erhaltenen Sessel mitten in einem staubigen Trümmerfeld, mal versinnbildlicht eine hübsch im Vordergrund drapierte Spielzeugpuppe eine ausgelöschte Familie. Die gleiche Machart also, wie sie uns aus dem Libanon erreichte - nur konsequenter.
Artikel erschienen am Fr, 1. September 2006