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Die Auseinandersetzungen innerhalb und außerhalb der großen Koalition über die Bereitstellung Hunderttausender zusätzlicher Krippenplätze für Ein- bis Dreijährige hat eine – in ihrer Schärfe – längst der Vergangenheit zugerechnete Diskussion wieder aufleben lassen.
Am markantesten belegt dies die Forderung der SPD-Linken, in das im Herbst zu beschließende neue SPD-Grundsatzprogramm das Postulat aufzunehmen: "Eine wirklich humane Gesellschaft kann erst dann entstehen, wenn das Männliche überwunden ist." Diese Art des kämpferischen Feminismus erinnert an die Emanzipationsdebatte der 68er. Hatte die erste deutsche Frauenbewegung Mitte des 19. Jahrhunderts die soziale, ökonomische und rechtliche Gleichstellung verfolgt, zeichnete sich die neue, sogenannte zweite Frauenbewegung durch die radikale Abgrenzung von Männern und bestehenden Institutionen aus. Mit der Parole "Das Private ist politisch" wurde eine neue Ära im Verhältnis der Geschlechter eingeläutet. Primäre Ziele waren dabei die Entwicklung eines neuen weiblichen Selbstbewusstseins und die Entstehung einer feministischen Gegenkultur. Diese sollte alle Lebensbereiche und ganz besonders die vormals als privat geltenden Institutionen Ehe und Familie durchdringen. Schon damals war das Ziel die Ausgrenzung alles Männlichen, das per se als patriarchal und somit frauenfeindlich definiert wurde.
Ein erster großer Erfolg des 68er-Feminismus war die Reform des Ehe- und Familienrechts von 1976. Ausgangspunkt der Reformkonzeption war der Grundsatz, dass die Funktions- und Aufgabenteilung in der Ehe den Eheleuten überlassen bleiben sollte, wobei die Haushaltsführung dem Beitrag zum Familienerwerb gleichgestellt wurde. Die alte Regelung, wonach die Ehefrau in erster Linie zur Haushaltsführung, der Mann zum finanziellen Unterhalt verpflichtet war, entfiel damit. Stattdessen sollten die Eheleute die Haushaltsführung im gegenseitigen Einverständnis regeln. Beide waren nunmehr berechtigt, berufstätig zu sein, beide mussten auf die Familie Rücksicht nehmen.
Eine in ihrer Bedeutung gar nicht hoch genug einzuschätzende Zäsur: Indem der Mann als "Haushaltsvorstand" (eine noch bis Ende der 70er-Jahre in vielen behördlichen Fragebögen vorkommende Kategorie) und "Ernährer" der Familie abgelöst wurde, wurde zugleich auch ein Großteil der Verantwortung abgenommen, die mit seinen ehemaligen "Privilegien" einhergegangen war. Von nun an konnte von der Frau erwartet werden, neben ihren natürlichen Mutteraufgaben und -pflichten zumindest im Bedarfsfall für sich und ihre Kinder zu sorgen. Die Folge war, dass die Männer dadurch endgültig von tradierten Rollen befreit wurden und sich aussuchen konnten, welchen Entwurf sie leben wollten.
In der Folge ist eine Situation eingetreten, in der die von der Frauenbewegung hausgemachten Unlösbarkeiten größtenteils auf den Schultern der heutigen Generation junger Mütter und Kinder ausgetragen werden. Denn nicht nur die Frau hat sich vom Mann emanzipiert. Dem Mann wurde es gleichzeitig möglich, sich von der Verantwortung für die eigene Familie zu lösen. Das traurige Resultat, so der Ethnologe und Kulturhistoriker Professor Hans Peter Duerr, ist eine Gesellschaft von Individuen, die auf das Prinzip der Gemeinschaft verzichtet, da die Menschen nicht mehr miteinander verbunden sind und niemand wirkliche Verantwortung für andere verspürt.
Zwangsläufig mussten diese Veränderungen auch Auswirkungen auf das Selbstverständnis von Mann und Frau in der Gesellschaft haben. Im Verhältnis der Geschlechter wird durch die Gleichheitsideologie, wie sie die Mutter aller Feministinnen der zweiten Frauenbewegung, Alice Schwarzer, erst vor Kurzem wieder als "gleiche Chancen, gleiche Rechte, gleiche Pflichten" definierte, das Kopieren von Bedürfnissen und Zielen freigegeben, so der Soziologe Niklas Luhmann. Daraus resultierten Paradoxien und unlösbare, sich verschärfende Konflikte. Und dies besonders immer dann, wenn es um knappe Ressourcen wie Führungspositionen, gesellschaftliche Reputation und Privilegien gehe. Dabei strebten in der Vergangenheit die Frauen in ehemalige Männerdomänen. Umgekehrt sei dies übrigens nur äußerst selten der Fall. Aufseiten der Männer habe dies zur Legitimation von Passivität, Trägheit, ständigem Abwarten und Sichnährenlassen geführt. In Wahrheit wurden also durch den Feminismus nicht die Frauen befreit, sondern vor allem die Männer – und das nicht nur mit Blick auf ihre Verantwortung für Frauen und Kinder, sondern auch auf ihre persönliche Profilierung in Unternehmen und überhaupt im täglichen Konkurrenzkampf. So gesehen hat tatsächlich eine Entmännlichung der Gesellschaft stattgefunden. Ein Beispiel dafür ist die von Unternehmensführern vielfach beklagte mangelnde Entscheidungsfreude der nachgeordneten Managerebene. Zeitraubende Meetings und Workshops seien seit Jahren zunehmend an die Stelle selbstbewusst getroffener Entscheidungen getreten. Ursache sei die allgemeine Verantwortungsscheu.
Die traditionelle Basis der Geschlechterverhältnisse stellte zwar einen Zwangszusammenhalt qua geteilter Ökonomie und polarer Geschlechtscharaktere dar, doch sicherte sie dadurch auch die Verbundenheit der kleinsten sozialen Gemeinschaftsform – der Familie. Das heute vielfach favorisierte Partnerschaftsmodell, das den Forderungen der Frauenbewegung nach völliger Gleichheit entspricht, verheißt zwar eine gerechtere Aufgabenteilung, birgt aber auch gleichzeitig die von Luhmann benannten Risiken: Passivität aufseiten der Männer und zusätzliche Belastungen für die Frauen. Außerdem vermittelt die gänzliche Emanzipation den Partnern zweierlei: zum einen das Gefühl, von niemandem abhängig zu sein, und damit verbunden andererseits die Meinung, für niemanden verantwortlich zu sein. Während Frauen biologisch durch die Schwangerschaft, Geburt und das Stillen ihrer Kinder an diese gebunden sind, erfahren die Männer, dass sie in vielerlei Hinsicht ersetzbar geworden sind.
Wie verlogen die Argumentation von der, in Wahrheit ja nur scheinbaren, Unabhängigkeit der Frauen ist, verdeutlichen folgende Faktoren: Die Armutsquote Alleinerziehender (von denen 85 Prozent Frauen sind) ist dreimal so hoch wie die des Bundesdurchschnitts und mehr als doppelt so hoch wie die der Paarhaushalte mit Kindern.
"Ob Kinder oder keine, entscheiden wir alleine!" Dieser Schlachtruf der 68er-Frauen mag zwar stimmen, doch ist der in den letzten Jahren immer lauter werdende Ruf nach den "neuen Vätern" nicht ohne Grund entstanden. Er macht vielmehr deutlich, dass Frauen mit der Doppelbelastung von Kind und Karriere vielfach überfordert sind. Gehörte es einst zu den klassischen Funktionen von Männlichkeit, die Seinen in der Familie zu schützen, zu ernähren und sie im Sinne auch der eigenen Reputation vorzuzeigen, ist davon heute lediglich eine Pflicht zum Alimentieren übrig geblieben. So ist der Ruf nach den "neuen Vätern" zum Ende des 20. Jahrhunderts keineswegs in dem Wunsch nach Rückkehr "patriarchalischer Strukturen" begründet. Vielmehr resultiert er aus der Einsicht der Mütter, ihre Bürde nicht allein tragen zu können, und stellt den Versuch dar, lediglich die Aufgaben der "alten Mütterlichkeit" – also Hilfe bei Kinderbetreuung und Haushalt – in Form eines partnerschaftlichen Modells neu zu verteilen. Schon 1991 konstatierte der Präsident der Freien Universität Berlin, Professor Dieter Lenzen, eine in den letzten zwei Jahrhunderten sukzessive aufgebaute hegemoniale Rolle der Mütter in westlichen Kulturen. Stattgefunden hätten Verschiebungsprozesse von Funktionen- und Rollenelementen, die leiblichen Vätern einmal eigen gewesen seien, auf Mütter, aber auch den "Vater Staat".
Die Familienforscherin Hanne-Lore von Canitz spitzte diese Thesen noch zu. Danach ist von den klassischen Vaterfunktionen nur die des Zeugens übrig geblieben. Sogar aus der Sicht von Kindern sei die Unterhaltsfunktion nicht mehr eindeutig dem Vater zuzuordnen. Sie hielten ihn bereits seit den Siebzigerjahren durch die Mutter oder staatliche Sicherungssysteme ersetzbar.
Auch dieser Befund spricht Bände: Hatten Männer in den Siebzigerjahren die Erwartung als Ernährer der Familie noch zu erfüllen versucht, indem sie erst heirateten und eine Familie gründeten, wenn sie für den finanziellen Unterhalt aufkommen konnten, betonen junge Paare heute die Wichtigkeit einer abgeschlossenen Ausbildung der potenziellen Mutter. Zum einen könne für den Vater ja ein anderer, nämlich "Vater Staat" einspringen, zum anderen sei es für die Frauen wichtig, sich für den Fall einer Trennung abzusichern.
Eine kollektive Form der Abwehr von Väterlichkeit in traditioneller Definition betrieb die Frauenbewegung, die die Vaterlosigkeit einfach als Ideal deklarierte ("Mein Bauch gehört mir") und die Mutter als allein selig machende Erziehungsinstanz verklärt hatte. Sie propagierte die Vaterunzulänglichkeit und reduzierte so Männer zur Verfügungsmasse für Samen und Geld. Immer wieder wurde in den endlosen Diskussionen der feministischen Bewegung die These vertreten, dass Männer Kinder nur zeugten, um dadurch die Frau in dauernde Abhängigkeit zu bringen. Eine Art Hirnwäsche, deren Auswirkungen unsere Gesellschaft noch lange durchleiden wird. Das feministische Ideal ist demnach die alleinerziehende, im Arbeitsprozess stehende – weil dadurch vom Mann unabhängige – Mutter mit garantiertem Krippenplatz vom ersten Lebensjahr des Kindes an, vielleicht auch noch früher.
Unsere Gesellschaft sieht sich also heute in einem doppelten Dilemma. Die vaterlose Kriegsgeneration der 68er erklärte der traditionellen Familie ideologisch und faktisch den Kampf. Es entstand eine neue Generation von Kindern, die ihre Väter nun durch den Krieg der Geschlechter verlor. Diese vaterverlassenen Kinder stellen die heutige junge Vatergeneration dar. Kein Wunder, dass solche Kinder im späteren Leben insgesamt zu ungefestigten Bindungen tendieren. Zwangsläufig geht damit eine höhere Bereitschaft einher, auch die eigene Familie zu verlassen. Dadurch entsteht ein fataler Kreislauf. Das Trauma der Vaterentbehrung wird von Generation zu Generation weitergegeben.
Der Historiker Daniel Regli spricht daher von der 68er-Falle. Das Versprechen der totalen Selbstverwirklichung habe eine egomane, antiautoritäre Anspruchsgesellschaft geschaffen, die nur das Ziel der persönlichen Emanzipation verfolge und damit in die totale Einsamkeit steuere. Denn wer stets versuche, alles auszuleben, was persönlich erfülle, werde es nicht schaffen, gleichzeitig eine erfüllende und stabile Beziehung aufzubauen, die ja bekanntlich von gegenseitiger Rücksichtnahme lebe.
Von Bedeutung ist dieser Umbruchprozess auch für die demografische Entwicklung. Wenn 72 Prozent der Jugendlichen die Gründung einer Familie als Glück definieren, kann es um den Kinderwunsch hierzulande nicht schlecht bestellt sein. Was fehlt, ist ganz generell das Vertrauen in die Bindungsfähigkeit des Partners. In einer Allensbachstudie aus dem Jahr 2004 rangiert diese Sorge weit vor dem Kostenfaktor Kind und noch weiter vor der Schwierigkeit staatlicher Kleinkindbetreuung. Die feministische Bewegung der 68er war erfolgreich. Sie hat in vielen Bereichen ihre Ziele verwirklicht. Es ist ihr gelungen, die Tradition Ehe mit Kindern als Familie über mittlerweile Jahrzehnte zu diskreditieren und damit zurückzudrängen. Damit einher gingen eine zunehmende Belastung für die Frauen und eine weitgehende Befreiung der Männer von Verantwortung. Die Folgen sind Kinderlosigkeit, Einsamkeit und Bitterkeit in weiten Teilen unserer Gesellschaft.
Ich danke Herrn Gafron für die Erlaubnis, den Essay hier vollständig wiedergeben zu dürfen.
Die Originalversion steht in der Onlineausgabe der Welt.