Seit Tagen wird über diesen Auftritt hitzig debattiert: Recep Tayyip Erdogans Rede vor 16.000 Türken in der Köln-Arena löste deutschlandweit Proteste aus. Hier folgt der vollständige Text. Hervorhebungen und [Anmerkungen] von mir
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Meine sehr verehrten Mitbürger, liebe Schwestern und Brüder, unsere verehrten Botschafter, die ihr den Duft der anatolischen Erde, jene anatolische Sensibilität bis nach Deutschland, in die Mitte Europas, getragen habt, meine Damen und Herren. Ich grüße Sie alle aus tiefstem Herzen. Ich grüße jeden Einzelnen von Ihnen mit Liebe und Respekt. Heute ist die Stadt Köln Zeuge eines denkwürdigen Programms.
Heute wird von hier aus die Botschaft von Brüderlichkeit, Freundschaft, Solidarität und Frieden nach ganz Europa und in die gesamte Welt übermittelt. Die türkische Gemeinschaft in Deutschland demonstriert heute wieder einmal der ganzen Welt den mit Liebe, Freundschaft, Zuneigung durchdrungenen Charakter unseres Volkes. Die türkische Gemeinschaft ist eine Gemeinschaft der Liebe, des Friedens, die türkische Gemeinschaft ist eine Gemeinschaft, die die Brüderlichkeit hochhält. Die türkische Gemeinschaft und der türkische Mensch, wohin sie auch immer gehen mögen, bringen nur Liebe, Freundschaft, Ruhe und Geborgenheit mit sich. Hass und Feindschaft können niemals unsere Sache sein. Wir haben mit Streit und Auseinandersetzung nichts zu schaffen. Genau wie jenes Licht, das vor Hunderten von Jahren in Anatolien von Yunus (gemeint ist der türkische Volksdichter Yunus Emre, d.Red.) in unsere Herzen eingepflanzt wurde:
„Ich bin nicht zum Streit gekommen
Meine Sache ist die Liebe.
Das Haus des Freundes, das sind die Herzen,
Ich kam, um Herzen zu gewinnen“
Ich gehe im Geiste zurück in das Jahr 1961, als ich der Abfahrt meiner Verwandten mit jenen von Dampfloks gezogenen Zügen im Bahnhof Sirkeci (Istanbul) zuwinkte. Als jene Züge unsere Freunde (im Original „Gurbetci", was so viel heißt wie „rückkehrwilliger Auslandstürke", d. Red) nach Deutschland brachten, trug ein jeder von ihnen im Herzen jenes Licht, von dem ich eben sprach. Jeder unserer Brüder und Schwestern hat hier Tag und Nacht gearbeitet, um Herzen zu gewinnen. Sie haben jede Bitterkeit zu Honig gemacht, jedweder Schwierigkeit getrotzt. Heute haben Sie fast die Zahl von drei Millionen erreicht. Doch zu Beginn dieser Woche haben wir in Ludwigshafen neun unserer Brüder und Schwestern in einem Brand verloren. Neun unserer Geschwister, fünf von ihnen waren noch Kinder, haben in der Blüte ihrer Jugend dieser Welt Lebwohl gesagt. Ich erbitte für jeden von ihnen Gottes Erbarmen, für meine verletzten Brüder und Schwestern bete ich für baldige Genesung.
Wie Sie wissen, bevor wir nach Deutschland kamen, befand sich der deutsche Innenminister in der Türkei. Die erste Einschätzung haben wir mit ihm gemeinsam in der Türkei vorgenommen. Sofort nach dem Vorfall haben wir unseren Staatsminister Mustafa Said Yazicioglu zusammen mit einer vierköpfigen Expertengruppe der Polizei zum Ort des Geschehens geschickt. Hier haben wir in allen unseren Gesprächen mit den deutschen Stellen unsere Sensibilitäten und unsere Erwartungen zum Ausdruck gebracht und die Sache auch mit der verehrten Frau Kanzlerin detailliert besprochen. Wir haben unsere Erwartung, dass dieser Vorfall in all seinen Dimensionen untersucht wird, mit ihnen besprochen. Wir haben auch zum Ausdruck gebracht, dass wir diese Sache weiterhin verfolgen werden. Unser Wunsch ist der folgende: Nicht nur unsere Staatsbürger hier, sondern auch unsere Staatsbürger in der Türkei, die diese Entwicklung aus nächster Nähe verfolgen, mögen Ruhe finden. Doch glaube ich, dass auch die deutsche Regierung, das deutsche Volk ebenso beunruhigt sind. Die Aufklärung ist auch erforderlich, damit auch sie Ruhe finden können. Möge Gott geben, dass solche bitteren Bilder die letzten gewesen sind. Möge Gott geben, dass wir nicht noch einmal solchen Schmerz erdulden müssen.
Und heute, wie Sie wissen, werden unsere Brüder und Schwestern, die ihr Leben verloren haben, mit einem Flugzeug der Turkish Airlines, das von dem Amt des Ministerpräsidenten geschickt worden ist, gemeinsam mit ihren Angehörigen und unserem Staatsminister Herrn Said Yazicioglu, nach Gaziantep überführt.
Seit dem Jahr 1961 haben Tausende unserer Brüder und Schwestern ihre Häuser, manchmal ihre Familien, ihre Eltern, ihre Ehefrauen und ihre Kinder zurückgelassen und sind hierhergekommen. Nicht wenige haben hier geheiratet, es kamen hier Kinder zur Welt, es wurden hier Enkel geboren. Heute haben Sie allein in Deutschland eine zahlenmäßige Stärke von fast drei Millionen erreicht. Sie haben nunmehr seit 47 Jahren mit Ihrer Arbeit, mit Ihrem Bemühen dazu beigetragen, dass Deutschland vorankommt, dass Deutschland in Europa und in der Welt zu einem mächtigen Land wird. Sie haben hier einerseits gearbeitet, andererseits aber haben Sie sich bemüht, Ihre Identität, Ihre Kultur, Ihre Traditionen zu bewahren. Ihre Augen und Ihre Ohren waren immer auf die Türkei gerichtet. Die Tatsache, dass Sie seit 47 Jahren Ihre Sprache, Ihren Glauben, Ihre Werte, Ihre Kultur bewahrt haben, vor allem aber, dass Sie sich gegenseitig stets unterstützt haben, diese Tatsache liegt jenseits aller Anerkennung.
Ich verstehe die Sensibilität, die Sie gegenüber Assimilation zeigen, sehr gut. Niemand kann von Ihnen erwarten, Assimilation zu tolerieren. Niemand kann von Ihnen erwarten, dass Sie sich einer Assimilation unterwerfen. Denn Assimilation ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Sie sollten sich dessen bewusst sein. Wir müssen jedoch auch Folgendes zur Kenntnis nehmen: Sie können sich im heutigen Deutschland, in Europa von heute, in der heutigen Welt, nicht mehr als „der Andere", als derjenige, der nur vorübergehend hier ist, betrachten, Sie dürfen sich nicht so betrachten. Die türkische Gemeinschaft hat sich volle 47 Jahre für dieses Land verausgabt. Nicht nur in Deutschland, in zahlreichen Ländern Europas nähert sich die Zahl unserer Staatsbürger fast fünf Millionen. Es ist bemerkenswert, dass trotz diesem immensen Einsatz, trotz dieser zahlenmäßigen Stärke gewisse grundlegende Probleme in diesen Ländern sich immer noch nicht auf der Tagesordnung befinden. Selbstverständlich werden unsere Kinder Türkisch lernen. Das ist Ihre Muttersprache und es ist Ihr natürlichstes Recht, Ihre Muttersprache Ihren Kindern weitergeben.
Jedoch würden Sie, wenn Sie die Sprache des Landes erlernen, in dem Sie leben, oder sogar noch einige Sprachen dazu, in jeder Hinsicht davon profitieren. Schauen Sie, viele unserer Kinder hier lernen in frühem Alter keine Fremdsprachen. Diese Kinder werden mit Deutsch erst dann konfrontiert, wenn sie mit dem Schulbesuch beginnen. Und das führt dazu, dass diese Kinder im Vergleich zu den anderen Schülern die Schullaufbahn mit einem Nachteil von eins zu null beginnen müssen. Doch würde es für Sie und für Ihre Kinder in jeder Hinsicht vorteilhaft sein, wenn Sie die Möglichkeiten maximal ausschöpfen, die das hiesige gute Schulsystem Ihnen bietet.
Sie werden einen Beruf ausüben, Sie werden öffentliche Dienste in Anspruch nehmen. Wenn Sie die Sprache des jeweiligen Landes nicht beherrschen, nicht lernen, so fallen Sie unweigerlich in eine Situation der Benachteiligung.
Weiter: Jahrelang hat eine Haltung vorgeherrscht, die durch eine Distanz gegenüber der Politik in diesem Lande, gegenüber der Außenpolitik, der Innenpolitik, der Sozialpolitik charakterisiert war. Doch sollte die türkische Gemeinschaft mit ihren drei Millionen Menschen in der Lage sein, in der deutschen politischen Landschaft einen Einfluss auszuüben, Wirkungen zu erzielen. (Zurufe „Die Türkei ist stolz auf dich", Anm. d. Übers.)
Warum sollten wir nicht in Deutschland, in den Niederlanden, in Belgien, in den anderen Ländern Europas auch Bürgermeister haben? Warum sollten wir keine Vertreter und Gruppen in den politischen Parteien haben? Warum sollten wir im deutschen Parlament, im EU-Parlament nicht noch mehr Vertreter haben? Warum sollten unsere Ansichten bei der Formulierung der Sozialpolitik der Länder, in denen wir leben, nicht zur Kenntnis genommen werden?
Schauen Sie sich die amerikanischen Wahlen an. Achten Sie darauf, wie die Menschen aus unterschiedlichen Ländern im Prozess der Wahlen und nach den Wahlen bei der Formulierung der Politik Einfluss ausüben. Hoffentlich (Antwort auf einen Ruf seitens der Zuhörer, d. Red.) – Leider leidet unser Land seit Jahren darunter. Manche Gemeinschaften sind in der Lage, auch wenn sie nur aus einer Handvoll Menschen bestehen, basierend auf ihrem intensiv betriebenen Lobbyismus, die Politik eines jeden Landes, in dem sie sich befinden, zu beeinflussen. Sie können Druck ausüben, um Beschlüsse der Parlamente in den jeweiligen Ländern zu erwirken. Warum sollten wir nicht Lobbyismus betreiben, um unsere Interessen zu schützen? (Applaus, Anm. d. Übers.)
Meine lieben Brüder und Schwestern ... Im Moment leben in Deutschland etwa drei Millionen Türken, doch sind davon 800000 deutsche Staatsbürger, 800000. Das ist keine Zahl, die man einfach ignorieren könnte. Es ist angebracht, sich damit eingehend auseinanderzusetzen. Sie sollten sich diese Fragen gegenseitig nunmehr öfters stellen. Gott sei Dank haben wir in den letzten Jahren eine beachtliche Strecke zurückgelegt. Wir stehen in ständigem Kontakt mit unseren Vereinen und den zivilgesellschaftlichen Organisationen hier. Was könnte man noch unternehmen? Wie könnten die Probleme der türkischen Gesellschaft gelöst werden? Wir beschäftigen uns nun viel mehr mit diesen Fragen und wir geben uns viel mehr Mühe und setzen uns stärker ein. Es ist jetzt unumgänglich geworden, dass auch Sie, jeder für sich und in Ihren Familien, mit Ihren Verwandten, Freunden, Nachbarn diese Fragen verstärkt stellen und die Schritte, die aus diesen Fragen folgen, unternehmen. Schauen Sie, heute ist die Türkei ein Land im Beitrittsprozess in die Europäische Union. Das heißt, wir führen Verhandlungen. Wie Sie wissen, hat vor zwei Jahren der Verhandlungsprozess begonnen. Von Zeit zu Zeit kommt es vor, dass gewisse Länder die Frage der Mitgliedschaft der Türkei für ihre innenpolitischen Ziele instrumentalisieren und Schritte unternehmen, die darauf gerichtet sind, den Beitrittsprozess der Türkei zu unterbinden.
Ich möchte hier besonders betonen: Die Türkei hat keine andere Alternative als die Vollmitgliedschaft in der EU, sie kann keine andere Alternative haben. Von Zeit zu Zeit sprechen einige von etwas, das sie die privilegierte Partnerschaft nennen. Unser Buch enthält nichts dergleichen, nichts, was man als privilegierte Partnerschaft bezeichnet. Aber ich möchte, dass Sie auch folgenden Punkt beachten: Auch das Rechtssystem der Europäischen Union kennt keine privilegierte Partnerschaft. Nun bereiten sie ein neues Szenario vor. Die Türkei wird in einem solchen Szenario nicht mitspielen. Niemand wird in der Lage sein, der Türkei diesen Anzug aufzuzwingen. Das sollten Sie wissen. Wir haben den Prozess der europäischen Einigung 1959 gestartet. 1963 starteten wir den vertraglichen Prozess. Die Türkei befindet sich seit 1963 vertraglich im Prozess der europäischen Einigung. Und, können Sie sich vorstellen, sie haben seit 45 Jahren immer das getan, immer solche Sachen verlautbart. Doch die Türkei war geduldig. Mit Geduld sind wir so weit gekommen. Nun sagen sie sich, vielleicht können wir etwas unternehmen, dass die Türkei sich abwendet. Sie mögen uns entschuldigen, wir werden uns nicht abwenden. Wir werden diesen Weg fortsetzen. Nun, wollen sie uns nicht?
Wenn sie uns nicht wollen, sollen sie diejenigen sein, die die Entscheidung fällen. Sie sollen sich entscheiden. Doch wir werden nicht diejenigen sein, die sich davonmachen. Wir werden uns nicht abwenden. Wir machen unsere Hausaufgaben. Wir wissen auch, was wir zu tun haben. Schauen Sie: Das Projekt „Bündnis der Zivilisationen", das unter der Führung von Kofi Annan begonnen wurde und bei dem wir, gemeinsam mit meinem verehrten Kollegen Zapatero, dem spanischen Ministerpräsidenten, die Moderation übernommen haben, stellt einen wichtigen Schritt dar. Warum haben wir an diesem wichtigen Schritt teilgenommen? Warum? Weil wir wollten, dass die Europäische Union zu einer wichtigen Adresse im Rahmen dieses wichtigen Schritts wird. Wenn wir das nicht getan hätten, hätte man das dann als Bündnis bezeichnen können? Nein. Dann wären sie unter sich geblieben. Doch gibt es hier einen Punkt, den es zu bemerken gilt. Auf der einen Seite, im Namen der islamischen Welt, die 1,5 Milliarden Menschen umfasst, steht die Türkei, die ein demokratischer, laizistischer, sozialer Rechtsstaat ist, auf der anderen Seite, im Namen des Westens, Spanien. Gemeinsam haben wir dieses Projekt gestartet. Was wollen wir? Es soll keinen Zusammenprall der Zivilisationen, sondern ein Bündnis der Zivilisationen geben. Welche soll die erste Adresse sein? Es soll die Europäische Union sein. Wenn jedoch die Europäische Union nicht in der Lage ist, dieses Unterfangen durchzustehen, so werden wir nicht dafür verantwortlich sein. Es werden diejenigen verantwortlich sein, die nicht in der Lage sind, das durchzustehen. Ich betone das besonders. Deswegen sage ich allen unseren Brüdern und Schwestern, die in diesem Moment in Köln-Arena versammelt sind: Ja, Sie sind bereits in der Europäischen Union, Sie sind in der EU. Wir sagen unseren europäischen Freunden, schauen Sie, Sie machen einen Fehler. Diese Herangehungsweise an die Türkei ist nicht angebracht. Wir haben sowieso im Moment fast fünf Millionen Staatsbürger, die sich in der Europäischen Union befinden.
Schauen Sie, halten Sie uns nicht länger mit fadenscheinigen Vorwänden auf. Lassen Sie uns diese Sache rasch abschließen. Es sind bereits 45 Jahre vergangen, das ist keine kurze Zeitspanne, lassen Sie diese Hinhaltetaktik. Natürlich, wir setzen uns und sprechen darüber. Da sieht man, dass sie unter Atemnot leiden. Wir sind jedoch geduldig. Hoffentlich werden wir das schaffen. Es gibt jedoch auch andere, die da sagen, ziehen Sie sich zurück. Mit der europäischen Union wird es nicht funktionieren. Liebe Brüder und Schwestern, wir werden auch diesem Trick nicht verfallen. Wir werden diesen Weg beharrlich fortsetzen. Seit fünf Jahren haben wir diesen Weg fortgesetzt. Schauen Sie, Gott sei Dank, wir konnten in unserer Regierungsperiode die politischen Kriterien von Kopenhagen erfüllen. Jetzt marschieren wir in Richtung der ökonomischen Maastricht-Kriterien. Es ist interessant festzustellen: Auch in Richtung der ökonomischen Maastricht-Kriterien konnten wir eine beachtliche Wegstrecke zurücklegen. Auch in dieser Hinsicht ist der Punkt, den wir erreicht haben, ansehnlich. Obschon zahlreiche Länder, die der EU zugehören, die ökonomischen Maastricht-Kriterien nicht erfüllen können, sind wir in der Lage, sie zu erfüllen. Wir können sie erfüllen.
Es genügt, dass wir solidarisch sind. Es genügt, dass wir uns nicht als Fremde, nicht als Gast, nicht als der/die Andere sehen, dass wir uns als ein wesentliches Element dieses Landes betrachten. Sie werden sehen, in dem Moment, in dem wir dies erreichen, werden unsere Probleme hier eines nach dem anderen gelöst werden.
Meine verehrten Brüder und Schwestern, meine verehrten Mitbürger. Gott sei Dank hat die Türkei in den letzten fünf Jahren Fortschritte verzeichnet, die als historisch zu bezeichnen sind. Ich bin mir sicher, dass Sie von hier aus den Prozess der Umwandlung, die die Türkei durchmacht, viel besser erkennen können. Sie können das Echo der Türkei in der ganzen Welt und in Europa viel besser wahrnehmen. Schauen Sie, was die Freiheiten betrifft, hat die Türkei in den letzten fünf Jahren Riesenschritte unternommen. Noch im dritten Jahr nach unserer Regierungsübernahme haben wir die politischen Kriterien von Kopenhagen erfüllt, das liegt nun hinter uns. Auf diese Weise wurde der Weg für die Beitrittsverhandlungen eröffnet. Unsere Bemühungen, die Menschenrechte und die Freiheiten entsprechend den europäischen Standards zu gestalten, werden fortgesetzt. Wir schreiten entschieden voran, um alle Hindernisse für die Inanspruchnahme der Freiheiten zu beseitigen und eine demokratischere Struktur für die Türkei zu erreichen. Haben wir keine Mängel? Natürlich haben wir welche. Aber, wir werden unser Ziel früher oder später erreichen.
Meine lieben Brüder und Schwestern, Sie, Ihre Angehörigen, waren gezwungen, wegen der schlechten wirtschaftlichen Bedingungen, wegen Arbeitslosigkeit, wegen Mangels an Straßen hierhin zu kommen und hier unter schweren Bedingungen zu arbeiten. Niemand sonst kann so gut verstehen, was das heißt, was das Leben in der Fremde bedeutet. Genauso waren Tausende von unseren Studentinnen gezwungen, wegen gewisser Hindernisse ihr Land und ihre Universitäten zu verlassen und hierhin und in andere Länder der Welt zu fahren, und in der Fremde zu leben. Wer kann ein solches Recht haben? Wer kann das Recht haben, den Menschen ihre eigene Heimat, das eigene Vaterland in einen Ort zu verwandeln, in dem Zwang herrscht? Mit welchem Blickwinkel, mit welcher Berechtigung kann diese bekannte Einstellung unsere intelligenten und fleißigen Jugendlichen, unsere unternehmerischen Jugendlichen dazu zwingen, die Träger eines „Braindrain" zu sein und die eigene Heimat zu verlassen? Diese Dinge sind nicht nachvollziehbar. Die Türkei, die sich im Prozess der Aufnahmeverhandlungen für die europäische Union befindet, verdient solche Maßnahmen nicht. [Anm: Verseht das jemand? Maßnahmen wessen? Wer treibt Studentinnen nach Europa?]
(Es folgen Ausführungen zur weltökonomischen Stellung und binnenwirtschaftlichen Entwicklung der Türkei, d.Red.)
Meine lieben Schwestern und Brüder, die Türkei wird nunmehr von einer Regierung gelenkt, die Ihre Probleme kennt und die ihre Arbeitszeit für die Lösung Ihrer Probleme aufwendet. Ich muss natürlich hier eine Sache ansprechen, die uns Kummer bereitet. Ich weiß sehr wohl, dass die Änderungen in dem Zuwanderungsgesetz Sie beunruhigt haben. Wir verfolgen dieses Thema aus nächster Nähe. Gestern, vorgestern haben wir dieses Thema mit der sehr geehrten Kanzlerin besprochen. Wir möchten insbesondere, dass Sie, sowohl als Einzelpersonen wie auch als zivilgesellschaftliche Organisationen bei Ihrem Einsatz für Ihre Rechte entsprechend den nationalen und internationalen Regelungen, beim Ausdrücken Ihrer Reaktionen, wie bis heute schon immer gewesen, immer respektvoll gegenüber dem Recht des Landes, in dem Sie leben, besonnen und maßvoll vorgehen. Bei dieser Gelegenheit möchte ich Sie auch für diese Ihre Verhaltensweise beglückwünschen. Ich bin überzeugt, dass wenn Sie Ihre unterschiedlichen Ansichten beiseitelassen und bezüglich der gemeinsamen Interessen gemeinsam vorgehen, diese Haltung Ihre Stärke noch multiplizieren wird.
Und ich hoffe, dass bei den nächsten allgemeinen Wahlen, bei den Wahlen für die Präsidentschaft und bei den Volksentscheiden, wobei die Kommunalwahlen ausgenommen sind, denn bei denen ist das nicht möglich, mein Volk nunmehr seine Stimme abgeben können wird.
Ein anderer Punkt auf unserer Tagesordnung ist ein hässliches Programm, das leider in einem deutschen Fernsehkanal gesendet worden ist. Ich möchte zum Ausdruck bringen, dass unser Volk wegen dieser hässlichen Ausdrücke sich tief verletzt gefühlt hat. Die Pressefreiheit kann niemals unbeschränkt sein. Die Meinungsfreiheit kann niemals unbeschränkt sein. Die Freiheiten reichen nur bis zur Grenze eines anderen Freiheitsbereichs. Bis dahin bist du frei, aber sobald du den Freiheitsbereich eines anderen Menschen betrittst, endet deine Freiheit, sollte deine Freiheit enden. Anders herum würde dies die Missachtung der Menschenwürde bedeuten. Es würde die Missachtung des Rechts auf eine unterschiedliche Organisation bedeuten. Wir erwarten in diesem Punkt Sensibilität. Wir erwarteten und erwarten in diesem Zusammenhang von denjenigen, die für die Ausstrahlung des besagten Programms verantwortlich sind, von der betreffenden Behörde, dass sie sich vor allem bei unseren alevitischen Staatsbürgern, bei der Öffentlichkeit wegen der erfolgten Übergriffe entschuldigen. Unsere Unruhe in diesem Zusammenhang haben wir, meine lieben Brüder und Schwestern, den deutschen Stellen mitgeteilt, wir werden dies weiter verfolgen. Wir haben dies in zahlreichen europäischen Parlamenten, im Europarat und bei unseren Gesprächen auf die Tagesordnung gesetzt.
Meine werten Brüder und Schwestern, wir sind in der Türkei in dem Maße glücklich und ruhig, wie Sie hier glücklich und ruhig sind. Ihre Probleme sind unsere Probleme. Seien Sie versichert, dass Ihre Angelegenheiten auch unsere Angelegenheiten sind. Wichtig ist, dass wir die Hoffnung nicht verlieren, dass wir niemals Abstriche an dem Geist der Solidarität zulassen, wir einheitlich sind, stark und vital sind. Es gibt kein Problem, das wir mit Gottes Hilfe nicht überwinden können, es wird kein solches Problem geben.
Diesen Text finden Sie auch in der Onlineausgabe der Welt.