„Deutungsfalle steht vielen im Weg“

Edna Brocke

über den Fall Krause und fragwürdige Reflexe in der deutschen Debattenkultur

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Die jüdische Theologin Edna Brocke hat sich im jüdisch-christlichen Dialog und der Auseinandersetzung mit der deutsch-jüdischen Geschichte in Deutschland einen Namen gemacht. Die stz sprach mit ihr über die Debatte um den ursprünglich als Kultusminister vorgesehenen CDU-Landtagsabgeordneten Peter Krause und das gesellschaftliche Umfeld, in dem sie stattgefunden hat.

Sie leiten die Begegnungsstätte ALTE SYNAGOGE Essen und besitzen sowohl die israelische als auch die deutsche Staatsbürgerschaft. Wie hatten Sie die Ankündigung und die Debatte darüber erlebt, dass ein Abgeordneter mit Junge-Freiheit-Vergangenheit Thüringer Kultusminister werden sollte?

Edna Brocke: Es gibt in diesem Land eine Deutungsfalle, die vielen im Wege steht. Sie haben das Gefühl, links sei das Gegenteil von rechts, und glauben deshalb, wenn man links ist, sei man automatisch gut. Deshalb stellen sie alles, was konservativ oder bürgerlich ist, automatisch in die rechte Ecke, um sich selbst auf der richtigen Seite zu wissen. Diese Deutungsfalle scheint hier wieder zugeschnappt zu haben. Aber in meiner Wahrnehmung ist links das Gegenteil von konservativ oder von bürgerlich. Man muss unterscheiden zwischen Publikationen, die bürgerlich oder konservativ sind, und solchen, die eindeutig rechts oder rechtsradikal sind.

Wie würden Sie die Junge Freiheit, für die Krause vor zehn Jahren gearbeitet hat, einordnen?

Ich lese sie nicht regelmäßig, schaue aber öfters rein und muss sagen, sie hat eine Fülle von interessanten Beiträgen mit durchaus konservativen Positionen, die ich aber ausgesprochen nicht in die rechte Ecke stellen würde. Diese Gleichsetzung von konservativ und rechts ist einfach ein Fehler.

Wo hört konservativ auf, wo fängt rechtsextrem an?

Wo man die Grenzen zieht, ist immer eine ganz schwierige Frage. Die gleiche Problematik hat man bei links und linksradikal. Es sind oft fließende Grenzen, da stimme ich zu. Bezogen auf konservativ versus rechtsradikal würde ich sagen, die Grenze ist dann überschritten, wenn Themen, die eindeutig hetzerisch sind, aufgegriffen und hetzerisch formuliert werden. In dem Moment, wo analytisch und nicht ideologisch argumentiert wird, kann man es durchaus in dem Bereich von konservativ ansiedeln.

Althaus sprach von einer Kampagne der Opposition. Sehen Sie das auch so?

Ich glaube, die Reaktionen sind fast mit einem pawlowschen Reflex zu vergleichen. Wenn ich es zugespitzt sage: Es gibt nur einen identitätsstiftenden Mythos in der Bundesrepublik, egal ob in der Variante Ex-DDR oder in der Variante Ex-alte-Bundesrepublik. Dieser identitätsstiftende Mythos ist die Absetzung vom Nationalsozialismus. Und in dem Moment, wo man sich irgendwo identifizieren will, muss man jemanden in die Ecke der Nazis oder der Erben der Nazis stellen und sich von ihm distanzieren. Das ist ein Totschlagargument. So erlebe ich das. Ich glaube, das sind Probleme gesamtgesellschaftlicher Art in diesem Land, die sehr schwer zu lösen sind. Auch nicht, wenn von jüdischer Seite oft Alarm geschlagen wird. Ich glaube, das sind kontraproduktive Maßnahmen, denn am Ende versteht niemand mehr warum.

Können Sie umgekehrt verstehen, wenn die Opposition kritisiert, dass jemand aus dem konservativen Spektrum wie Krause Kultusminister werden soll?

Natürlich. Ich kenne zwar Herrn Krause als Person nicht, aber ich kann strukturell auf das Phänomen eingehen. Ich kann verstehen, wenn Menschen der Meinung sind, es sei nicht würdig, wenn eine Person X oder Y für ein bestimmtes Thema Verantwortung übernimmt. Das kann ich aber ziemlich weit ausdehnen, auch gegenüber vielen anderen Personen. Aber da funktioniert dieser pawlowsche Reflex eben nicht.

Wo hört in Sachen Krause die Kritik auf und wo beginnt der pawlowsche Reflex?

Wenn ich Herrn Krause für nicht geeignet halte, muss ich genügend Beiträge vorlegen können, in denen er Hetzkampagnen angezettelt hat. Wenn es eine große Zahl von solchen Artikel geben würde, die nachweislich von Krause stammen, würde ich sagen: Es wird problematisch. Aber allein die Tatsache, dass er vor zehn Jahren sechs Monate bei der Jungen Freiheit eine Position eingenommen hat, ist für mich nicht ausreichend, um den Mann zu disqualifizieren. Dazu wollte ich alle Artikel sehen, ob er in seinen Beiträgen hetzerisch agiert hat. Liegen solche Beiträge nicht vor, dann gehe ich davon aus, dass der pawlowsche Reflex eingesetzt hat.

Stichwort pawlowscher Reflex. Gibt es vergleichbare Beispiele?

Aber es gibt umgekehrt auch Fälle, wo die Kritik meines Erachtens berechtigt war. Etwa in der Bubis-Walser-Debatte. Hier hat sich Bubis zu Recht gegen Walser gestellt. Da sind Dinge gesagt worden, die vielleicht in der Sache nachvollziehbar wären, aber so wie Herr Walser sie zu diesem konkreten Anlass gesagt hat, fand ich es deplaziert. Berechtig war auch die Kritik an Möllemann. Seine Hetze war schlicht und einfach antisemitistisch pur. Da hätte mehr Druck gegen Möllemann aus der FDP selbst kommen müssen. Und dafür muss er nicht in der Jungen Freiheit schreiben.

Interview: Georg Grünewald

Zusatz im Juli 2014: An dem oben wiedergegebenen Text besitze ich keinerlei Rechte und habe insbesondere auch keine Erlaubnis, ihn hier vollständig wiederzugeben. Im Gegenteil, meine diesbezügliche Anfrage wurde 2008 ausdrücklich abschlägig beschieden. Statt der verbotenen Kopie habe ich damals dementsprechend vollkommen korrekt einen Link auf das Original bei der Südthüringer Zeitung gesetzt. Zunächst funktionierte das hervorragend. Vor einiger Zeit hat die Zeitung vollkommen wider den Geist und den Zweck des von Tim Berners-Lee geschaffenen Web den Artikel gelöscht.

Winston Smith hätte seine wahre Freude daran, wie leicht man heute das veröffentlichte und öffentlich gewordene Wort spurlos verschwinden lassen kann. Auf der einen Seite werden in Bibliotheken mit großen Summen an Steuergeldern auf billiges Papier gedruckte Flugblätter aus dem 16. Jh. restauriert und der Nachwelt erhalten, auf der anderen sind wenige Jahre alte und immer noch hoch relevante Texte auf einmal spurlos verschwunden. Natürlich achte ich das Urheberrecht. Sein Zweck ist es, daß der geistige Urheber sein eigenes Werk gewinnbringend selbst vermarkten kann und ihm nicht andere den Ertrag seiner Arbeit stehlen. Ebenso hat jeder das Recht, privates nicht in die Öffentlichkeit gezerrt zu sehen. Um beides geht es hier nicht. Das veröffentlichte Wort ist bereits öffentlich geworden und niemand hat das Recht, es einfach wieder ungesagt und ungeschehen machen zu können. Viele bedeutende Texte des Altertums haben nur als Kopien in unsere Zeit überlebt, neuen und aktuellen Texten darf dieses Recht nicht versagt bleiben. Columban von Iona , der vermutlich erste, der einer unerlaubten Kopie wegen verfolgt wurde, ist heute ein wichtiger Heilger und gilt als Fürsprecher der Computerpiraten und Computerhacker.

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