Wir sind nicht allein

Von Yoel Marcus

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Zu einer Zeit, da die amerikanische Zeitschrift ‚Atlantic Monthly’ einen Artikel mit der Überschrift „Ist Israel am Ende?“ veröffentlicht, der britische Intellektuelle Christopher Hitchens darüber räsoniert, ob Israel noch weitere 60 Jahre bestehen wird, und Mahmoud Ahmadinejad damit droht, uns von der Landkarte zu wischen, blicke man darauf, wer mit uns den 60. Geburtstag Israel zu feiern gekommen ist und noch kommen wird.

Präsidenten und Regierungschefs, politische Führer, die das Antlitz der Welt prägen, Schriftsteller und Intellektuelle, darunter zahlreiche Nobelpreisträger und Erfinder ebnen den Weg für ein neues Morgen. Vor allen anderen ein amerikanischer Präsident, der zum zweiten Mal innerhalb eines Jahrs zu Besuch kommt und diesmal in der Knesset spricht – nicht weil er wiedergewählt werden will, sondern aus tiefer Wertschätzung und Verpflichtung gegenüber Israel heraus; ähnlich wie Kanzlerin Angela Merkel, die bei ihrem zweiten Besuch mit ihrer auf Deutsch gehaltenen Knesset-Rede Geschichte schrieb – auch sie aus Wertschätzung gegenüber einem Staat, der feiert, was ein zynischer Politiker als „Party auf der Titanic“ bezeichnet hat.

Im vergangenen Jahr feierte Indien, das nach China bevölkerungsreichste Land der Welt, seine 60jährige Unabhängigkeit. Eine derartige Parade von Politikern aus aller Welt, wie es das winzige Israel dieser Tage erlebt, hat es dort jedoch nicht gegeben. Tatsächlich ist es präzedenzlos, dass der Geburtstag eines Staates solch ein Ausmaß an Zuspruch und Unterstützung, einen derartigen Zustrom von politischen Architekten der Zukunft hervorruft, wie es in Israel derzeit geschieht. Neben und nach uns ist eine Fülle von Staaten entstanden, doch man sehe, wo sie heute und wo wir heute stehen.

Es gab Tage, da Amerika, das uns als erster nach Errichtung des Staates anerkannte, ein Waffenembargo über uns verhängte, als wir die Waffen am nötigsten hatten. Der legendäre David Ben-Gurion brauchte einen Vorwand – wie bspw. die Entgegennahme der Ehrendoktorwürde der Yeshiva University – um die Vereinigten Staaten zu besuchen. Und zu einem Treffen mit einem amerikanischen Präsidenten im Weißen Haus wurde er gar nie eingeladen.

Entgegen all unserem Gezeter, dass nichts bei uns funktioniert, wie es soll, dass die Korruption um sich greift, dass wir es nicht schaffen, zum Frieden zu gelangen, dass das Wahlsystem bescheuert ist – womöglich sind wir auch das einzige Land der Erde, das von seinen Bürgern als „beschissener Staat“ bezeichnet wird -, herrscht in der aufgeklärten Welt eine große Hochachtung vor dem, was wir hier innerhalb von 60 Jahren geleistet haben, allen Angriffen der Araber zum Trotz.

Ein unbestochener Blick, der nicht voll von Hass ist, wird unsere Leistungen von 60 Jahren entweder mit Verwunderung oder mit Neid oder Zorn betrachten: eine Bevölkerung, die sich seit Staatsgründung verzehnfacht hat, ein stabile und prosperierende Wirtschaft, eine der am meisten fortentwickelten Technologieindustrien der Welt. Es ist schwer, nicht mit Erstaunen (oder Neid) auf die Fähigkeiten so eines kleinen Staates zu blicken, der sich die meiste Zeit seines Bestehens im Kriegs- oder Terrorzustand oder beidem gleichzeitig befunden hat, ohne sich zu wundern, wie dies geschah.

Der Kontrast zwischen unseren Errungenschaften und dem Elend der Palästinenser schreit zum Himmel. Wenn sie nicht so voll Hass gewesen wären, wenn sie den Teilungsplan der UNO akzeptiert hätten, könnten sie jetzt politische Unabhängigkeit ohne die Armut und das Blutvergießen genießen, das sie selbst über sich gebracht haben. Unsere Feinde haben in der Tat einen Grund, vor Neid zu sterben, und unsere Freunde haben einen, um Israel zu bewundern. Und sie kommen hierher, große und wichtige, um ihre Wertschätzung zu übermitteln und Israel die Ehre zu erweisen, die ihm zusteht. Anders als mein Kollege Gideon Levy, der von den amerikanischen Juden verlangt hat, uns in Ruhe zu lassen, meine ich, wir müssen gerade darauf stolz sein, dass sich die jüdischen Reichen ganz im Gegenteil nicht von uns entfremden. Neben ihren Spenden und Investitionen in Israel ist ihr großer Einfluss auf die Regierung zugunsten Israels und seiner Sicherheit ein wichtiger strategischer Posten für die Existenz des Staates.

Israel ist die Antithese zu allem, was in unserer Region passiert. Es ist eine Insel der Vernunft in einer Welt des islamischen Fundamentalismus und des die aufgeklärte Welt bedrohenden Terrors. Trotz allem, was in der Umgebung vor sich geht, ist Israel nicht von seinem Weg als Demokratie und Rechtstaat (mehr oder weniger) abgekommen – und hat vor allem anderen nicht die Sehnsucht verloren, mit seinen Nachbarn zu einem Friedensabkommen zu gelangen.

Leider sieht sich Israel nach der Machtübernahme der Hamas im Gaza-Streifen und im Angesicht der Machtübernahme der Hisbollah im Libanon mit einem Libanon konfrontiert, der wie Gaza zu sein anfängt, und einem Gaza, das wie der Libanon zu sein anfängt, konfrontiert. Auf beiden Schauplätzen bezieht der sich atomar bewaffnende Iran Stellung an unseren Grenzen im Norden und im Süden. „Während wir uns mit Feierzeremonien beschäftigen, stehen wir kurz vor einer existentiellen militärischen Auseinandersetzung“, hat Verteidigungsminister Ehud Barak angeblich gesagt.

Der Besuch von Bush ist nicht nur eine Demonstration der tiefen Wertschätzung gegenüber Israel, sondern auch eine Übergabe der Fackel des strategischen Umgangs mit der iranischen Vernichtungsdrohung gegen Israel an den nächsten Präsidenten. Wir dürfen uns von der Demonstration der Unterstützung Israels nicht zu sehr den Kopf verdrehen lassen – uns drohen existentielle Gefahren, die niemand außer uns beseitigen kann -, aber wir dürfen uns doch angesichts unserer zahlreichen und wichtigen Unterstützer einen Klaps auf die Schulter geben. Im Alter von 60 Jahren ist es gut zu wissen, dass wir nicht allein sind.

(Haaretz, 16.05.08)

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