Drohender Zerfall

EU: Trotz Euro-Höhenflugs wächst die Spannung in der Währungsunion, da sie ihre ungleichen Partner überfordert

Wilhelm Hankel

© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de
Ausgabe 22/08 vom 23. Mai 2008

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Der Euro ist zur begehrtesten Währung der Welt aufgestiegen. Zum 1. Januar 2009 soll die Slowakei beitreten, nachdem kürzlich die Europäische Zentralbank (EZB) und die EU-Kommission grünes Licht gaben. Die Zustimmung der EU-Finanzminister im Juni ist damit höchstwahrscheinlich nur noch Formsache, obwohl die EZB „beträchtliche Bedenken“ äußerte, ob das ehemalige Ostblockland danach die Inflation weiter in Zaum halten könne. Die drei baltischen Staaten wollen zwischen 2010 und 2012 zum Euro übergehen, obwohl Lettland 2007 mit 10,1 Prozent EU-Spitzenreiter beim Preisanstieg war. Ungarn, Polen und Tschechien dürften wohl erst 2013 dabei sein, denn neben der Inflation sind Haushaltsdefizit, Staatsverschuldung, Wechselkurs und Zinsniveau weitere Kriterien für die Euro-Einführung.

Dennoch drängen auch wirtschaftlich noch schwächere EU-Länder wie Bulgarien und Rumänien auf Aufnahme in den Währungsclub. Angela Merkel zieht daraus den Schluß, die gemeinsame Währung mache den Weg in den europäischen Staatenbund „unumkehrbar“. Doch statt des Aachener Karlspreises hätte man der Kanzlerin am 1. Mai den des Heiligen Martin verleihen sollen. Bekanntlich teilte der Heilige seinen Mantel mit einem Bettler am Wegesrand. Was die fromme Legende verschweigt: Danach froren sie beide!

Wohlstandspolitik zu Lasten der bislang reichen EU-Länder

Weder die Kanzlerin noch Deutschlands öffentliche Meinung nehmen den Geburtsfehler der Währungsunion zur Kenntnis, der ihr ein frühes (und abruptes) Ende garantiert. Die Währungsunion verleitet die ärmsten ihrer Mitglieder dazu, fortgesetzt über ihre Verhältnisse zu leben, und zu einer Wohlstandspolitik zu Lasten Dritter. Nicht die Betreiber bezahlen sie, sondern die Geschädigten!

Die der Euro-Zone eingebauten Finanzierungsmechanismen erlauben es, die Mittel für den Aufholprozeß dieser Länder aus Inflation und fremdem Geld zu gewinnen. Von beiden Möglichkeiten machen sie tüchtig Gebrauch. Wie „erfolgreich“, zeigt der Vergleich mit dem Rekordmeister USA: Spanien, Portugal, Griechenland, Italien überbieten ihn längst oder kommen ihm nahe! Die ansonsten eher zurückhaltende Wirtschaftswoche (19/08) titelte kürzlich mit der Frage: „Sprengen Spanien, Portugal und Griechenland die Währungsunion?“ Die Euro-Zone sei ein „Club der Disziplinlosen“, die EZB stehe vor dem „bislang schwierigsten Jahr seit ihrer Gründung vor zehn Jahren“. Italien und Portugal beispielsweise hätten „so ziemlich alles falsch gemacht, was sich falsch machen läßt“. Sie hätten die positiven Effekte der Euro-Einführung einfach „verfrühstückt“, zitierte das Düsseldorfer Magazin einen Beamten der EU-Generaldirektion Wirtschaft und Finanzen. Nur, es war vorauszusehen!

Deutschlands Leistungsbilanzüberschüsse (die größten der Euro-Zone) schaffen dafür die „Deckung“. Sie gleichen die Defizite der anderen Währungspartner aus und machen es möglich, daß diese ihren Binnenkonsum über ihre eigene Wirtschaftsleistung (BIP) und ihre Binneninvestitionen über ihre (zum Teil dürftige) Ersparnis hinaus ausdehnen können. Deutschland als Bankier hat im Zuge dieses „Ausgleichsprozesses“ sein Spitzen-Pro-Kopf-Einkommen in EU und Euro-Zone verloren und ist auf dem neunten Platz und dem Niveau der bislang als arm geltenden Mittelmeerländer angekommen.

Falls die Kanzlerin wie ihre Vorgänger und Deutschlands in Sachen Europa kritiklose (ver)öffentlich(t)e Meinung glaubt, dieses aus Mitteln der deutschen Volkswirtschaft finanzierte Schlaraffenland für unsere Nachbarn stelle eine für Europa wie Deutschland gleichermaßen sinnvolle Zukunftsinvestition dar (und keine verspätete Nachkriegsreparation) – ihr naiver Glaube wird durch die Fakten widerlegt. Keine Währungsunion hat ihre Gründergeneration überlebt und keine einen Großstaat oder Staatenbund hinterlassen. Der Euro ist nicht die Lokomotive auf dem Weg in ein vereintes Europa, sondern das Dynamit, das die dorthin führenden Gleise sprengt.

D-Mark war Stabilitätsanker und Europas Leitwährung

Die Defizite der Euro-Partner überziehen die Währungsunion gnadenlos mit Inflation und verwandeln den Euro immer deutlicher in einen „Teuro“. Die EZB ist machtlos. Sie kann die Sünder nicht bestrafen, denn ihre Zinsen gelten für alle: auch für Stabilitätsmusterknaben wie Deutschland. Sie kann nicht einmal das daraus resultierende perverse Realzinsgefälle korrigieren, daß die Länder mit den höchsten Inflations- und niedrigsten Sparraten in Europa die geringsten (und die Inflation verstärkenden) Kapitalkosten aufweisen und nicht die allerhöchsten!

Die Aussichten für Europa und seine Gemeinschaftswährung sind düster. Ermannt sich die EZB doch noch und führt einen Zinskrieg gegen die defizitären Euro-Staaten (inklusive die in ihre selbstverschuldete Krise verstrickte Bankwelt), dann verlassen immer mehr Nachholländer die Währungsunion. Läßt die EZB die Dinge laufen und setzt auf den spekulativen Höhenflug des Euro an den Weltfinanzmärkten, dann mindert das zwar kurzfristig den Inflationsimport der Euro-Staaten aus der Weltwirtschaft. Doch der teure Euro lenkt die Exportströme innerhalb der EU weiter um: Deutschland exportiert mehr in den Binnenmarkt und konkurriert, weil es hier keine schützenden Wechselkurse mehr gibt, schwächere Partner nieder. Diese bezahlen den Euro-Vorteil mit der Kolonisierung von Volkswirtschaft und Arbeitsmärkten. Die Spannungen innerhalb der EU nehmen zu.

Im Grunde hat niemand ein Konzept, wie dem drohenden Zerfall der Euro-Union zu begegnen ist. Die harte Inflationsbekämpfung treibt die armen Länder aus dem Euro, das Laufenlassen der Inflation die reichen. Die internationalen Finanzmärkte und ihre Anleger werden früher oder später die Euro-Mißwirtschaft aus Inflation und Schulden bestrafen und den Euro gnadenlos abstürzen lassen. Spätestens dann verläßt auch das letzte stabilitätsorientierte Land diese Weich-Währungsunion. Mit der D-Mark als Stabilitätsanker und Leitwährung hätte sich Europa diese Perspektive erspart.

Prof. Dr. Wilhelm Hankel leitete unter Karl Schiller die Abteilung Geld und Kredit im Bundeswirtschaftsministerium. Er hat das Thema in seinem Buch „Die Euro-Lüge und andere volkswirtschaftliche Märchen“ (Signum-Verlag, Wien 2008) vertieft. www.oeaw.ac.at

Ich danke dem Verlag für die Erlaubnis, den Artikel hier vollständig wiedergeben zu dürfen.
Die Onlineversion steht im Archiv der JF.

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