Zivilcourage? Lassen Sie bloß die Finger davon!

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In jeder Gesellschaft entwickeln die Menschen Überlebensstrategien zur Bewältigung ihres Alltages. Eine der wichtigsten Regeln heißt heute: Lerne wegzugucken.

Ich will Ihnen das an einem kleinen Beispiel verdeutlichen: Nehmen wir an, Sie sind Lehrer und gehen über den Schulhof. Sie kommen auf zwei Fünftklässler zu, die sich prügeln. Entschlossen und couragiert gehen Sie auf die beiden zu. Mit Ihrer auf Konfliktbewältigungsseminaren geschulten Feinfühligkeit versuchen Sie die Pampers-Krieger zu beschwichtigen. Fruchtet nichts, die hauen weiter. Nun greifen Sie beide an den Oberarmen und ziehen sie auseinander. Wie eine ärztliche Untersuchung hinterher ergibt, hat jeder der Schüler am Oberarm einen blauen Fleck. Nun haben Sie ein Problem. Ihr Problem wird dadurch vergrößert, dass einer der Väter Anwalt ist. Dieser droht Ihnen umgehend, er werde alle ihm zur Verfügung stehenden rechtsstaatlichen Mittel ausschöpfen, um Rambos wie Ihnen das Handwerk zu legen. (Natürlich erkennt der Anwalt wegen der inzwischen entstandenen Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit die Chance, seiner Not leidenden Kanzlei durch besondere Forschheit wieder auf die Beine zu helfen.) Ihre Probleme werden verschlimmert, weil der andere der Schüler ein Ausländer ist. Hilflos sehen Sie sich in der Folgezeit den Einschüchterungs- und Bedrohungsszenarien eines rachedurstigen Ethno – Clans gegenüber. Die Polizei bescheidet Ihnen, sie könne erst eingreifen, wenn was passiert ist.

Wer gibt Ihnen Schutz? Wer hilft Ihnen in Ihrer Not? Wer stärkt Ihnen den Rücken? Ihre vorgesetzte Schulbehörde lässt Sie lange Berichte schreiben, um zu überprüfen, ob Sie auch alle pädagogischen und psychologischen Möglichkeiten ausgeschöpft haben. Die Justiz sieht im vorliegenden Fall die Verhältnismäßigkeit der Mittel nur bedingt gewahrt. Weil einer der beiden Schüler angeblich weglaufen wollte, ist inzwischen zum Tatbestand der Nötigung und Körperverletzung auch noch die Freiheitsberaubung hinzugekommen. In der örtlichen Presse wird besorgt darüber diskutiert, warum und wie lange noch solche Schlägertypen wie Sie auf unschuldige Kinder losgelassen werden. Eine Menschenrechtsorganisation prangert die Ungeheuerlichkeit des Vorganges an und die Ausländerbeauftragte wirft Ihnen Fremdenfeindlichkeit vor. Am Ende des Verfahrens ist Ihre Gesundheit kaputt, Ihr gesellschaftliches Ansehen vernichtet und Ihre Frau weg.

Selbst Schuld! Warum sind Sie auch nicht den üblichen Weg gegangen, jenen, den unsere Gesellschaft honoriert??! Sowie Sie bei Ihrem Gang über den Schulhof auf die beiden Hitzköpfe aufmerksam geworden sind, hätten Sie sofort so tun müssen, als hätten Sie was im Lehrerzimmer vergessen und wären schnurstracks umgekehrt. Dort angekommen hätten Sie – ganz allgemein – Ihre Besorgnis über die zunehmende Gewalt unter Jugendlichen geäußert.

Wenig später spricht sich herum, dass bei einer Prügelei auf dem Schulhof ein Schüler vier Zähne verloren hat und sein Unterarm gebrochen ist. Die Stichverletzungen des anderen erweisen sich – Gott sein Dank – als nicht so schwerwiegend. Der Krankenwagen ist im Anmarsch.

Sie tun kund, dass die Vorgänge Ihre Besorgnis bestätigen, geben Ihrer Empörung über die Brutalität Ausdruck und steigern dies gekonnt bis zur Bestürzung. Der herbeigeeilte Vater eines beteiligten Knaben ( seines Zeichens Anwalt ) droht der Schule mit einer Klage wegen Verletzung der Aufsichtspflicht und Körperverletzung wegen unterlassener Hilfeleistung. Sie raten diesem Vater zu konsequentem Handeln und sagen ihm Ihre Unterstützung zu.

Auf der nächsten Gesamtkonferenz fordern Sie – im Beisein der von Ihnen herbeizitierten Presse – die Einrichtung eines Arbeitskreises zur Verhinderung von Gewalt unter Jugendlichen. Gleichzeitig kündigen Sie Ihren Beitritt zum Präventionsrat an.

Überall lobt man Ihr Problembewusstsein und Ihr soziales Gewissen. Höheren Ortes ist man bereits auf Ihr Engagement aufmerksam geworden. Sie werden in den Kirchenvorstand gewählt und belegen zwei weitere Bestürzungsseminare. Ihre Gesundheit ist prächtig, Ihr gesellschaftliches Ansehen enorm und Ihre Frau ist stolz auf Sie wegen Ihres warmen und einfühlsamen Wesens.

Und das alles wollen Sie sich wegen so ein bisschen Zivilcourage vermasseln???!

(Aus dem Satireband: “Kleine Geschichten über Politik und andere Leiden des Lebens” von Dr. Jörg Hellmann, ISBN: 978-3-9810380-0-2) www.politik-satire.de ; Email

Ich danke Herrn Dr. Hellmann für die freundliche Erlaubnis, die Satire hier vollständig wiedergeben zu dürfen.

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