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Binyamin Netanyahu hat drei gute Gründe, den Siedlungsbau in Judäa und Samaria fortzusetzen. Der erste Grund ist die Glaubwürdigkeit. Netanyahu hat sich verpflichtet, die Bautätigkeiten im Herbst 2010 wieder aufzunehmen, und wenn er dies nicht tut, wird er seine Glaubwürdigkeit sowohl nach innen als auch nach außen verlieren. Der zweite Grund ist die Überlebensfähigkeit. Die Einfrierung des Siedlungsbaus würde Avigdor Lieberman stärken, die Shas-Partei entfremden und Netanyahu vom Machtzentrum der Rechten entfernen. Der dritte Grund ist Fairness. Yitzhak Rabin, Ehud Barak und Ehud Barak ließen alle während eines Friedensprozesses in Judäa und Samaria bauen. Die Forderung, Netanyahu solle anders verfahren – während von den Palästinensern nichts zur Förderung des diplomatischen Prozesses verlangt wird – ist eine höchst unfaire Forderung.
Doch Netanyahu hat auch drei ausgezeichnete Gründe, den Siedlungsbau in Judäa und Samaria einzufrieren. Der erste Grund ist Barack Obama. Sollte Netanyahu nicht mit dem Präsidenten kooperieren, würden die USA in einem hastigen und gefährlichen Prozess mit möglichweise katastrophalen Konsequenzen eine Zwangsregelung vorantreiben, die Israel hinter die Grenzen von 1967 zurückwerfen würde. Der zweite Grund ist Barack Obama. Sollte Netanyahu in eine frontale Konfrontation mit dem Präsidenten geraten, würden die USA Israel nicht beistehen, wenn der iranische Moment der Wahrheit kommt. Der dritte Grund ist Barack Obama. Sollte Netanyahu den Präsidenten verletzen, würden die USA sich nicht erheben, wenn Israel den rutschigen Abhang der Delegitimierung hinab schlittert und zu einem Paria-Staat wird.
Die Sorgen sind groß. Die Falle ist real. Gegenwärtig ist Netanyahu im Recht, aber er ist nicht klug. Sein Beharren auf einer Sache, die nicht existentiell ist, gefährdet die existentiellen Interessen Israels. Seine Zögerlichkeit beim Fällen einer Führungsentscheidung lässt ihn und seine Regierung in einem lächerlichen Licht erscheinen. Nach langen Wochen der Beratung zwischen Washington und Jerusalem ist noch immer nicht die kreative Idee gefunden, die den Frieden aus dem Schlamm ziehen und eine amerikanisch-israelische Kollision in diesem Winter verhindern würde.
Hier eine kreative Idee: Für das Einfrieren des Siedlungsbaus in Judäa und Samaria für 60 Tage würden die USA ihre Verpflichtung gegenüber dem Brief des US-Präsidenten Bush vom April 2004 erneuern.
Bushs Brief wurde Sharon im Austausch für den Abzug aus dem Gaza-Streifen übermittelt. Er enthält die vage Zusicherung, dass bei einem Friedensschluss die Siedlungsblöcke bei Israel verbleiben und die palästinensischen Flüchtlinge nicht in israelisches Territorium zurückkehren würden. Als Oppositionsführer pflegte Netanyahu diesen Brief verächtlich zu behandeln. Als Ministerpräsident hat er seine Bedeutung verstanden und fordert von Obama, ihn zu respektieren. Obama hat sich geweigert. Nun besteht die goldene Gelegenheit für einen wegweisenden amerikanisch-israelischen Deal: Israel wird der Bitte der Obama-Administration in der Frage der Einfrierung nachkommen, während die Obama-Administration sich den Brief von Präsident Bush Wort für Wort zu Eigen machen wird.
Für Netanyahu handelt es sich hier um eine Win-win-Situation. Sollte Obama zustimmen, wäre das für Israel ein signifikanter diplomatischer Erfolg, der seine Position auf dem internationalen Schauplatz und bei den Verhandlungen über ein Endstatusabkommen erheblich verbessern würde. Sollte Obama sich weigern, würde der Streit nicht um 1000 lächerliche Wohnungen in den Gebieten gehen, sondern um die Glaubwürdigkeit der USA: Nicht Netanyahu wäre dann der Verweigerer, sondern Obama. Wenn sich zeigen würde, dass der amtierende US-Präsident sich den Zusicherungen entziehen würde, die der vorherige US-Präsident gegeben und von der großen Mehrheit in beiden Häusern des Kongresses verabschiedet wurden, würde Israel von einer Position moralischer Unterlegenheit zu einer Position moralischer Überlegenheit gelangen.
Die Angelegenheit ist nicht lediglich eine taktische. Um einen israelisch-palästinensischen Frieden zu schmieden, muss Israel beinahe-existentielle Risiken auf sich nehmen. Um derartige Risiken auf sich nehmen zu können, braucht Israel solide amerikanische Garantien. Wenn die USA ihre früheren Garantien in Stücke reißen, haben auch zukünftige Garantien keinen Wert. Somit wird die Frage der amerikanischen Glaubwürdigkeit zu einer existentiellen Frage. Jeder vernünftige Amerikaner – im Kongress, in den Medien und im Mittleren Westen – würde verstehen müssen, dass wer die amerikanische Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzt, den Frieden genauso gefährdet wie jemand, der in Siedlungen baut. Es ist Zeit, dass sowohl Washington als auch Jerusalem mit der Rechthaberei aufhören und beginnen, weise zu sein und die Frage der Glaubwürdigkeit gemeinsam mit der Frage der Einfrierung behandeln. Obama kann Bush nicht leiden. Netanyahu hat Sharon nicht geschätzt. Und dennoch ist die einzige Rezeptur, die Obama und Netanyahu retten kann, die Rezeptur Bush-Sharon.
(Haaretz, 07.10.10)