Wenn Goliath gesiegt hätte

Aluf Benn

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In der endlosen Diskussion über das negative Image Israels in den internationalen Medien wird immer wieder die Behauptung wiederholt, dass Israel einst als Goliath betrachtet wurde und die Palästinenser als Goliath, während sich die Darstellung in den letzten Jahren umgekehrt hat – die Palästinenser werden als kleines und tapferes Volk gezeichnet, das mit Steinen und primitiven Granaten gegen den mit Atomwaffen und F16-Jets ausgerüsteten israelischen Riesen um seine Freiheit kämpft.

Die öffentliche Meinung im Westen, die seit Generationen mit der biblischen Geschichte erzogen wird, würde den hübschen Helden unterstützen, der den gepanzerten und derben Riesen niederringt. Der Grund dafür ist verständlich: Als der israelische Hirtenknabe aus Bethlehem den Philisterkrieger aus Gat tötete, gewann er nicht nur Ehre, die Hand der Königstochter und den Erbanspruch auf die zukünftige Krone, sondern auch den Wettbewerb um die „Formung des Bewusstseins". Die Sieger schreiben die Geschichte, und die Version Davids setzte sich als das richtige Narrativ durch.

Aber nehmen wir einmal an, Goliath hätte gesiegt, und die Philister hätten die Geschichte über die Generationen hinweg weitergegeben. Sie würde sich wie folgt lesen: Ein hochentwickeltes Volk, dessen Angehörige die westliche Wissenschaft und Kultur mit geschaffen haben, kam mit Schiffen aus Europa an die Ufer des Landes Israel, errichtete Städte in der Küstenebene und versuchte mithilfe überlegener militärischer Technologie ein primitives Bergvolk in die Knie zu zwingen. Der Krieg zog sich über mehrere Generationen hin, bis das Bergvolk besiegt war und das Königreich der Küstenebene über das ganze Land herrschte.

Das klingt beleidigend? Das ist genau die Sache: Nicht die Tatsachen bestimmen das Bewusstsein, sondern die Art ihrer Darstellung, das Framing der Geschichte. Wenn man uns lehrt, die Philister seien Unbeschnittene, Bösewichte und Verlierertypen, werden wir sie mit Verachtung strafen und ihnen nicht zuhören, selbst wenn Teile ihrer Geschichte an unser eigenes Narrativ erinnern.

Der Krieg um das Bewusstsein hat sich seit der biblischen Zeit nicht sehr verändert. Die ausländischen Medien, die von hier berichten, sind gekommen, um über den Konflikt zu berichten, und interessieren sich nicht für Israel als unabhängiges Gemeinwesen. Aus ihrer Sicht ist Israel Teil einer Geschichte von Krieg und Frieden und nicht ein westlicher und fortschrittlicher Hightech-Staat, wie es in den israelischen Medien dargestellt wird. Das Framing der Geschichte neigt zu seinen Ungunsten, denn wer Israel mit Goliath vergleicht und die Palästinenser mit David, wünscht insgeheim den Sieg des Hirten über den Krieger. Der israelische Versuch, davon zu überzeugen, dass wir dem Westen ähneln, klingt ungefähr so wie ein Versuch von Seiten der Philister, zu erzählen, dass die Vororte des antiken Ashkelon, wo Goliath in hohem Ansehen stand, dem entwickelte und liberalen Athen sehr viel ähnlicher seien als die Felder von Bethlehem, wo David das Vieh hütete.

Die üblichen Ausreden für die Probleme der israelischen Öffentlichkeitsarbeit sind pathetisch und auf Albernheiten fokussiert: Die Politiker sprechen mangelhaftes Englisch, der Pressesprecher der Armee hält Fotos zurück, die Palästinenser sind Lügner, und Goldstone ist ein Betrüger. Aber auch wenn Avigdor Lieberman so eloquent wie Abba Eban wäre, würde das dem Image Israels nicht weiterhelfen. Das Problem liegt im Framing, das Israel als sinisteren Besatzer und Siedler präsentiert und die Palästinenser als gerechte Freiheitskämpfer. Die Besetzung Afghanistans wird im Westen als gerechter Abwehrkrieg gegen die Schurken von Al-Qaida dargestellt, und die Tötung von Zivilisten in Tora Bora erscheint insofern als notwendiges Übel. Die Operation „Gegossenes Blei" hingegen erscheint als erbarmungsloser Überfall auf eine unschuldige Bevölkerung, und die Tötung von Zivilisten in Gaza gilt somit als Kriegsverbrechen. Die israelische Behauptung, der Militäreinsatz sei dazu da, dem Raketenbeschuss Einhalt zu gebieten, und es handle sich um Selbstverteidigung, überzeugt die öffentliche Meinung im Eesten etwa so sehr wie die alternative Version der Goliath-Geschichte.

Das heißt nicht, dass Israel immer im Recht ist und sich lediglich schwer damit tut, andere von der Richtigkeit seines Weges zu überzeugen. Aber in den gegenwärtigen Umständen ist das Framing der Geschichte stärker als die israelische Öffentlichkeitsarbeit. 1000 Beschwerden bei BBC oder CNN über fehlerhafte Berichterstattung werden dies nicht ändern. Bestenfalls werden sie die Abneigung gegenüber Israel und seinen Sprechern verstärken.

Was tun? Die naheliegende Schlussfolgerung ist, dass man, wenn man im Westen gut aussehen will, sich den dort akzeptierten Umgangsformen und Normen anpassen und verstehen muss, dass Blockaden, Liquidierungen und Siedlungen schlecht aussehen. Aber man kann sich auch ein anderes Ende für die biblische Geschichte vorstellen: Der König von Ägypten kommt am Vorabend der entscheidenden Schlacht ins Tal von Elah, versammelt König Saul und fünf Feldherren der Philister zu einer Friedenskonferenz und einigt sich mit ihnen auf einen Plan zur Teilung des Landes zwischen den Königreichen der Küstenebene und des Berglands. Dieses Ende würde viel Blutvergießen ersparen, klingt aber sehr viel weniger heroisch und aufregend als die Geschichte, mit der wir aufgewachsen sind. Vielleicht ist sie deswegen sehr viel unpopulärer als die Hoffnung, zu siegen und im Recht zu sein.

(Haaretz, 10.11.10)

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