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Zwei gewaltige Prozesse vollziehen sich vor unseren Augen. Der eine ist die arabische Befreiungsrevolution: Nach einem halben Jahrhundert, in dem die arabische Welt von Diktatoren beherrscht worden ist, wird deren Regime erschüttert. Nach 50 Jahren verfaulter Stabilität, zerstört die Fäulnis die Stabilität. Die arabischen Massen sind nicht mehr bereit das zu ertragen, was sie ertragen haben. Die arabischen Eliten sind nicht mehr bereit zu beschweigen, was sie beschwiegen haben.
Die Prozesse, die seit einem Jahrzehnt unter der Oberfläche gären, brechen plötzlich in einer Intifada der Freiheit aus. Die Modernisierung, die Globalisierung, die Telekommunikation und die Islamisierung haben eine kritische Masse geschaffen, die nicht gestoppt werden kann. Das Modell des demokratischen Irak rüttelt auf, die subversiven Sendungen al-Jazeeras heizen das Feuer noch an. So ist die Bastille Tunesiens gefallen, so fällt die Bastille Ägyptens und andere Bastillen Arabiens werden noch fallen.
Die Szenen ähneln denen der palästinensischen Intifada von 1987, aber der Zusammenbruch ähnelt dem sowjetischen Zusammenbruch von 1989. Niemand weiß, wohin diese Intifada führen wird. Niemand weiß, ob sie Demokratie, Theokratie oder eine neue Art von Diktatur bringen wird. Aber was war, wird nicht mehr sein. Die Ordnung des Nahen Ostens zerfällt. So wie die Revolutionen der Offiziere in den fünfziger Jahren den arabischen Monarchismus zu Fall brachten, der sich auf die Kolonialmächte stützte, bringen die Revolutionen auf den Plätzen von 2011 die arabischen Diktaturen zu Fall, die sich auf die Vereinigten Staaten stützten.
Der zweite Prozess ist der beschleunigte Niedergang des Westens. Gut 60 Jahre lang gab der Westen der Welt eine nicht perfekte, aber doch stabile Ordnung. Er errichtete eine Art postimperialistisches Imperium, das relative Ruhe und maximalen Frieden versprach. Der Aufstieg Chinas, Indiens, Brasiliens und Russlands sowie die Wirtschaftskrise in den USA und in Europa haben klar gemacht, dass das Imperium im Niedergang begriffen ist. Dennoch wahrte der Westen eine gewisse Art von internationaler Hegemonie. Ebenso wenig wie bislang ein Ersatz für den Dollar gefunden worden ist, hat man einen Ersatz für die nordatlantische politische Führerschaft gefunden. Die erfolglose Art und Weise, wie die westlichen Mächte mit dem Nahen Osten umgehen, beweist jedoch, dass sie nicht länger führend sind. Vor unseren Augen werden die Supermächte zu Quasselmächten.
Für die Widersprüche gibt es keine Ausreden. Wie kann es sein, dass das Amerika Bushs das Problem der Unterdrückung der arabischen Welt verstanden hat, aber das Amerika Obamas sie bis vor einer Woche ignoriert hat? Wie kann es sein, dass Mubarak im Mai 2009 ein von Präsident Obama hochgeschätzter Präsident war, während Mubarak im Januar 2011 ein finsterer, von Obama abgelehnter Diktator ist? Wie kann es sein, dass Obama im Juni 2009 nicht die Massen unterstützte, die gegen den fanatischen Ahmadinejad auf die Straße gingen, während er sich jetzt auf die Seite der Massen stellt, die gegen den moderaten Mubarak auf die Straße gehen. Die Antwort: Die Position, die der Westen bezieht, ist keine moralische Position, die eine wirkliche Verpflichtung gegenüber den Menschenrechten widerspiegelt. Die Position des Westens spiegelt die Adaption der Weltsicht Jimmy Carters wider: Schmeichelei gegenüber finsteren und starken Diktatoren und Preisgabe moderater und schwacher Diktatoren.
Carters Verrat am Shah brachte uns die Ayatollahs und wird uns bald atomar bewaffnete Ayatollahs bringen. Der Verrat des Westens an Mubarak wird nicht weniger schwere Folge nach sich ziehen. Es ist dies nicht lediglich ein Verrat an jemandem, der treu zum Westen stand, der Stabilität diente und zur Mäßigung aufrief. Es ist dies ein Verrat an allen Verbündeten des Westens im Nahen Osten und in der Dritten Welt. Die Botschaft ist klar und eindeutig: Das Wort des Westens ist nichts wert, ein Bündnis mit dem Westen ist nichts wert, mit dem Westen ist es aus. Der Westen hat aufgehört, die führend und stabilisierende Macht der Welt, in der wir leben, zu sein.
Die arabische Befreiungsrevolution wird den Nahen Osten von rund auf verändern. Der beschleunigte Niedergang des Westens wird die Welt verändern. Ein Ergebnis wird die steigende Hinwendung zu China, Russland und regionalen Großmächten wie Brasilien, der Türkei oder dem Iran sein. Ein zweites Ergebnis wird eine Reihe internationaler Unruhen sein, die vom Verlust der westlichen Abschreckungsfähigkeit herrühren. Doch das übergreifende Ergebnis wird sein, dass die politische Hegemonie der nordatlantischen Staaten nicht innerhalb einiger Jahrzehnte, sondern innerhalb einiger Jahre zusammenbrechen wird. So wie die Vereinigten Staaten und Europa derzeit Mubarak beerdigen, beerdigen sie auch die Macht, die sie einst hatten. Auf dem Tahrir-Platz in Kairo geht das Zeitalter der westlichen Hegemonie zu Ende.
(Haaretz, 03.02.11)