Was wäre gewesen, wenn die Juden den palästinensischen Weg eingeschlagen hätten?

Von Warren Kozak

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Es ist zu bezweifeln, ob Menschen unter humanitären Gesichtspunkten jemals schäbiger behandelt wurden als die jüdischen Flüchtlinge nach dem Zweiten Weltkrieg. Halb verhungert und staatenlos waren sie in den Ländern, in denen sie seit Generationen gelebt hatten und assimilierte und gebildete Bürger gewesen waren, nicht wieder willkommen. Deutschland war kein Ort, an den man hätte zurückkehren können, und im polnischen Kielce wurden vierzig Juden, die den Holocaust überlebt hatten, ein Jahr nach Kriegsende bei einem Pogrom getötet. Die europäische Judenheit wurde 1945 schnell vom Opfer zur Flüchtlingskatastrophe. Dieser schreckliche Zustand hielt jedoch nicht lange an, er war so schnell vorbei, dass sich heute nur noch wenig Menschen an diese Zeit erinnern können. Wie konnte dies so schnell geschehen, wenn die Palästinenser zur selben Zeit über Generationen weiter staatenlos geblieben sind?

1945 befanden sich Hunderttausende jüdischer Überlebender in DP (displaced persons) -Camps in ganz Europa. Sie wurden von jüdischen und internationalen Hilfsorganisationen mit Nahrung und Kleidung versorgt. Hätte sich die jüdische Weltbevölkerung in dieser Situation so verhalten, wie es die Araber und Palästinenser taten, sähe heute alles ganz anders aus.

Zunächst einmal würden die Juden immer noch alle in jenen DP-Camps leben, nur dass diese nun zu heruntergekommenen Ghettos überall in Europa geworden wären. Die Flüchtlinge würden immer noch von einem Komitee im Stile des UNRWA (das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten, das seit 1948 hauptsächlich von den Vereinigten Staaten finanziert wird) mit Nahrung und Kleidung versorgt. Mit einer der höchsten Geburtenraten weltweit, wären sie nun bereits mehrere Millionen. Und 66 Jahre später würde in einer neuen Generation, aufgewachsen mit einer Mischung aus Hass und Lügen über die Europäer, der Zorn schwelen.

Irgendwann in den frühen Sechzigern hätte die jüdische Führung dieser Flüchtlingslager, nachdem sie (wie Yassir Arafat) in Moskau dazu ausgebildet worden wären, im Westen Chaos anzurichten, begonnen, Terrorismus einzusetzen, um Regierungen in die Knie zu zwingen. Flugzeugentführungen in den Siebzigern hätten die Tötung von Passagieren mit sich gebracht. Es hätte auch Anschläge auf besonders prestigeträchtige Ziele gegeben – so wie vielleicht die deutsche oder die polnische Olympia-Mannschaft.

In den 1990ern wäre es dann richtig losgegangen. Aufgewachsen in der Opferrolle und missbraucht als Kanonenfutter von ihren korrupten Anführern hätte eine Generation jüngerer Juden Busse, Restaurants und sich selbst in die Luft gesprengt. Die Millionen von Dollar, die verschiedenen Regierungen abgenötigt worden waren, wären nicht an die Bewohner der Lager gegangen. Das Geld wäre jetzt auf schweizer Bankkonten der berühmten und großspurigen Anführer und deren Lakaien.

Jetzt sind wir also in der Gegenwart angelangt, Generationen nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, und für das schwelende jüdische Flüchtlingsproblem in Europa ist absolut kein Ende in Sicht. Der schlimmste Teil dieser Geschichte wären die verschwendeten Leben von Millionen von Menschen in den Lagern – Erfindungen, die nicht gemacht, Krankheiten, die nicht geheilt, Startups, die nicht gegründet, Symphonien und Bücher, die nicht geschrieben wurden; eine echte kulturelle Wüste. Nichts davon ist natürlich geschehen. Anstelle dessen sind die jüdischen Flüchtlinge in das Land ihrer Vorfahren zurückgekehrt. Sie haben in Europa alles hinter sich gelassen, was ihnen gehörte und wandten dem Kontinent den Rücken zu – ohne nach einem „Recht auf Rückkehr“ zu fragen. Sie wurden von den 650 000 israelischen Juden willkommen geheißen.

Zusätzlich drängten 700 000 jüdische Flüchtlinge aus arabischen Ländern in den neuen Staat, nachdem sie dort, kurz gesagt, vertrieben worden waren. Auch sie hatten nach Generationen am selben Ort alles verloren, auch sie wurden in ihrer neuen Heimat willkommen geheißen.

In Israel nahmen sie nicht den leichten Weg. Sie bauten das Land von null auf, mit Straßen, Wohnhäusern und Schulen. Sie bildeten landwirtschaftliche Kollektive zur Versorgung. Man etablierte eine erfolgreiche Wirtschaft ohne heimische Ölvorkommen und eine der lebhaftesten Demokratien der Welt in einer Region, die sich durch die traurige Abwesenheit von Gedankenfreiheit auszeichnet.

Es stimmt, die Israelis haben all das mit der finanziellen Unterstützung von Juden auf der ganzen Welt erreicht, und auch andere haben ihnen dabei geholfen, wieder auf die Beine zu kommen, damit sie für sich selbst sorgen können. Diese Außenseiter haben sie nicht ignoriert, erniedrigt oder als Bauernopfer in ihren eigenen politischen Spielchen missbraucht – so wie es die arabischen Nationen mit den Palästinensern getan haben.

Man könnte jetzt argumentieren, dass die Juden all das zwar erreicht haben, man ihnen allerdings nicht ihr Land gestohlen hat. Dies ist natürlich eine Ente, eine andere bequeme Lüge. Sie haben Besitz überall in Europa und dem Mittleren Osten verloren. Und es hat niemals ein unabhängiges Palästina gegeben, das von palästinensischen Arabern regiert wurde. Niemals. Juden und Araber haben in dieser Region gelebt, zunächst unter türkischer, dann britischer Oberhoheit. Die UN haben die Zweistaatenlösung, von der wir heute so viel hören, bereits 1947 vorgeschlagen. Das Problem damals und heute ist, dass sie nur von einer Seite, nämlich Israel, akzeptiert wurde. Es steht außer Zweifel, dass die Situation der arabischen Bewohner des Mittleren Ostens damals schwierig war, doch es ist unfassbar, dass ihr Los schwerer gewesen sein soll als das der Juden nach dem Zweiten Weltkrieg.

Wir hören nicht viel hierüber, da Menschen Hoffnung und einen Lebenssinn zu geben keine Schlagzeile wert ist. Elend, Opfer und Terror sind immer aufregender. Vielleicht war es am Ende das größte Verbrechen der Juden, dass sie in aller Stille etwas aus dem Nichts geschaffen haben. Und in diesem Prozess haben sie sich selbst gewandelt.

Golda Meir soll einmal gesagt haben, dass, wenn sich die Juden nicht gegen die arabischen Armeen erfolgreich zur Wehr gesetzt hätten und 1948 vernichtet worden wären, man auf sie in der Welt die allerschönsten Elogen gehalten hätte. Stattdessen haben sie sich entschieden, sich zu verteidigen. Und da sie gewonnen haben, wurden sie von der Welt verurteilt. Meir erklärte, sie würde immer die Verurteilung den Elogen vorziehen.

Warren Kozak ist der Autor des Buches „LeMay: The Life and Wars of General Curtis LeMay“

(Wall Street Journal, 20.06.11)

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