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Die Frage, ob Israel der Staat der jüdischen Nation oder ein Staat aller seiner Bürger ist, ist weitgehend überflüssig. Denn den Worten der Richter des Obersten Gerichtshofes zufolge ist Israel sowohl ein jüdischer Staat als auch ein Staat aller seiner Bürger.
Lässt man bei diesem Thema einmal alle Emotionen und überflüssigen juristischen Spitzfindigkeiten beiseite, liegen die Tatsachen scheinbar klar auf der Hand: Der Staat Israel ist Ausdruck seines Rechtes auf Gründung eines jüdischen Staates. Dies ist der Ursprung der zionistischen Bewegung, und auf dieser Definition beruht auch die internationale Legitimation, die Israel durch die UN-Entscheidung vom 29. November 1947 verliehen wurde: Sie sah die Errichtung von zwei Staaten auf dem damaligen britischen Mandatsgebiet Palästina vor – eines jüdischen und eines arabischen. Und dies ist auch die normative Basis für das Gesetz, das allen Juden die Einwanderung nach Israel ermöglicht.
Andererseits sind beinahe zwanzig Prozent der israelischen Staatsbürger nicht jüdisch. Diese, zum größten Teil arabische, Minderheit hat gleiche politische Rechte: Sie verfügt über das aktive und passive Wahlrecht, ihre Vertreter sitzen in der Knesset, arabisch ist die zweite offizielle Sprache des Staates, und die Araber haben seitens des Staates das Recht, in ihrer eigenen Sprache und Kultur erzogen zu werden – ein Recht, das unzweifelhafte Demokratien wie Frankreich, Großbritannien und Deutschland ihren Minderheiten nicht gewähren. In dieser Hinsicht ist Israel ein multikultureller Staat, obwohl dies niemals ausdrücklich so gesagt wurde und viele Juden wahrscheinlich über diese Feststellung erschüttert wären.
Doch die Realität ist komplizierter – und das aus verschiedenen Gründen. Erstens bedeutet die Tatsache, dass Israel sich mit einem Teil der arabischen Welt in einem Konflikt befindet, dass die Araber in Israel eine nationale Minderheit in einem Land sind, das sich mit der nächstgrößeren Einheit (der „arabischen Umma“) im Konflikt befindet, als deren Teil sie sich ansehen, mindestens aus kultureller Sicht. Dies ist beispielsweise ein entscheidender Unterschied zur baskischen Minderheit in Spanien. Der Konflikt erschwert es der arabischen Minderheit, sich mit dem Staat Israel zu identifizieren und beeinflusst die Beziehungen der jüdischen Mehrheitsgesellschaft ihnen gegenüber, unabhängig von der Frage nach gleichen Rechten für die Minderheit.
Zweitens ist allgemein bekannt, dass es trotz der gesetzlich garantierten gleichen Rechte, die arabischen Bürger sowohl im Alltag diskriminiert werden, als auch die arabische Minderheit insgesamt in Fragen von Budgets und Zuweisung von Geldern systematisch aufs schwerwiegendste einer Diskriminierung ausgesetzt ist. Die Pro-Kopf-Investitionen für einen Schüler in den verschiedenen jüdischen Sektoren sind um ein Mehrfaches höher als die für einen Schüler im arabischen Sektor. Darüber hinaus sind die staatlichen Investitionen im sozialen Wohnungsbau oder Infrastruktur für arabische Kommunen gleich null. Dennoch kann man nicht ignorieren, dass Israel bei seiner Gründung hätte entscheiden können, Hebräisch zur einzigen Landessprache zu erheben und somit auch Schulunterricht lediglich in dieser Sprache abhalten zu lassen. Man muss die politische Weisheit der Staatsgründer loben, die davon Abstand genommen haben. Außerdem muss man bei aller Kritik an der Diskriminierung israelischer Araber sagen, dass im republikanischen Frankreich kein Schulunterricht auf Arabisch oder in afrikanischen Sprachen stattfindet.
Im Hintergrund all dessen jedoch gibt es ein Thema, das nicht ignoriert werden kann und auch immer wieder in Zukunftsentwürfen arabischer Organisationen auftaucht: die Symbole des Staates. Das jüdische Wesen des Staates Israel findet in seinen Symbolen den wichtigsten Ausdruck, im Wappen, der Fahne und der Nationalhymne. Es sind eindeutig jüdische Symbole, nicht in religiösem Sinne, sondern als Ausdruck einer nationalen jüdischen Identität. Natürlich kann man nachvollziehen, dass es einem arabischen israelischen Staatsbürger schwer fällt, von der „jüdischen Seele“ zu singen oder sich mit dem Davidstern und der Menora zu identifizieren. Doch in dieser Hinsicht steht Israel nicht allein da. In vielen demokratischen Staaten in Europa, wie zum Beispiel Großbritannien, der Schweiz, Griechenland und den skandinavischen Staaten enthält die Fahne ein Kreuz: So ist etwa der Union Jack eine Verbindung dreier Kreuze, nämlich des englischen St. George’s Cross, des schottischen St. Andrew's Cross und des irischen St. Patrick’s Cross. Natürlich haben die Kreuze einen christlichen Hintergrund, jedoch stehen sie heute eben vor allem für das nationale Erbe der Bestandteile des Vereinigten Königreiches. Forderungen von Juden (oder Muslimen), diese Fahne durch eine religiös neutrale auszutauschen, wurden bisher noch nicht laut – die meisten Bürger denken nicht einmal über den Hintergrund nach. Auch der Text der Hymne „God save the Queen“ kümmert Juden, Muslime, Atheisten und Republikaner nicht besonders, ebenso wenig solche Christen, die nicht Mitglieder der anglikanischen Kirche sind, deren Oberhaupt die Königin ist. Niemand hätte je gefordert, den Text der Nationalhymne ändern zu wollen. Wem die Worte schwer über die Lippen gehen, der singt eben einfach nicht mit – eine menschliche und tolerante Lösung.
Ein Vergleich zeigt, dass die meisten staatlichen Symbole nicht etwa einen allgemeinen bedeutungslosen und abgeflachten Konsens widerspiegeln, sondern ein historisches Erbe, das der Kultur der Mehrheit im Staat Ausdruck verleiht. Es stimmt, dass es nicht immer angenehm ist, einer Minderheit anzugehören, dies war übrigens auch der Grund für die Gründung des Staates Israel – den Juden eine Möglichkeit zu geben, nicht für die Ewigkeit eine Minderheit zu sein. Wenn eine Minderheit in einem demokratischen Staat um gleiche Rechte kämpft, gibt es in der Regel gute Chancen dafür, dass ihr das auch gelingt. Wenn sie gegen die Symbole kämpft, die das historische Erbe der Mehrheit ausdrücken, wird sie in der Regel scheitern und in der Mehrheitsgesellschaft Ablehnung hervorrufen.
Die Tatsache, dass es in der arabischen Öffentlichkeit Forderungen nach einer neuen Nationalhymne gibt (eine Forderung, die niemals durch arabische oder muslimische Minderheiten in demokratischen europäischen Staaten erhoben wurde) und nach einer Abschaffung des Einwanderungsgesetzes, rührt aus einer Wahrheit, deren Existenz man nicht ignorieren darf, und die man verstehen muss, auch wenn man mit ihr nicht übereinstimmt: Der Ursprung dieser Forderung liegt nicht im Wunsch nach gleichen Rechten, sondern in einem Mangel an Anerkennung der Existenz Israels als jüdischem Nationalstaat, in dem Versuch, dieses Selbstverständnis zu erschüttern. Man muss das offen aussprechen, und besonders die, die den arabischen Israelis volle Rechte garantieren wollen und die vielen Aspekte der Diskriminierung überwinden wollen, die unser Leben begleiten, müssen sich dieses Unterschieds bewusst sein.
Manchmal hört man aus dem Munde einiger Sprecher der arabischen Öffentlichkeit, dass die Situation der arabischen Israelis (oder der palästinensischen israelischen Staatsbürger, wie sie sich selbst bezeichnen) nicht mit der Situation der Algerier in Frankreich, der Pakistaner in Großbritannien oder der Türken in Deutschland vergleichbar sei, weil es sich hierbei um eine Minderheit handele, die schon lange vor Ort lebt. Ohne auf die Frage eingehen zu wollen, ob eine solche Minderheit mehr Rechte hat, als eine zugewanderte (meiner Meinung nach nicht), lohnt es sich, daran zu denken, dass man mit diesem Begriff auch in anderen Zusammenhängen wedeln kann. Vielleicht waren die irakischen, syrischen und ägyptischen Juden, die auf die eine oder andere Weise aus ihren Ländern vertrieben wurden, eine Minderheit, die schon immer da war, weil sie in diesen Ländern bereits gelebt hatten, bevor diese im siebten Jahrhundert durch die muslimischen Araber erobert wurden?
Zwischen der Identität des Staates Israel als jüdischem Staat und der eines Staates aller seiner Bürger besteht kein Widerspruch. Eine Spannung zwischen den beiden Polen besteht aber dennoch, und es ist Aufgabe sowohl der jüdischen Mehrheit als auch der arabischen Minderheit, hierbei Wahrheiten ins Auge zu sehen, die für beide Seiten schmerzhaft sind. Die jüdische Mehrheit muss anerkennen, dass trotz der gegenwärtigen Lage und des Fehlens einer Lösung beim Thema Palästinenser die Araber Bürger unseres Staates sind: Dies verpflichtet zu einer Politik, die die Gräben in den Budgets für die arabische Bevölkerung bei Erziehung, Bau und Infrastruktur schließen muss. Und es verpflichtet auch dazu, die verletzenden Sicherheitsüberprüfungen auf ein Mindestmaß zu reduzieren. Es verpflichtet die jüdische Öffentlichkeit ebenfalls dazu, nicht nur die arabischen Staatsbürger als Individuen mit Respekt zu behandeln, sondern auch ihre Kultur.
Andererseits, sollten die Kämpfe um gleiche Rechte zwischen berechtigten Forderungen und dem Versuch unterscheiden, der scheitern muss, gegen die Symbole des Staates zu kämpfen. Die Forderung nach Gleichheit und die vollständige Integration wird unter den jüdischen Bürgern auf breite Unterstützung stoßen – der Versuch, Israels Selbstverständnis als jüdischen Staat zu erschüttern, jedoch nicht.
Haaretz, 06.10.12
Der Autor ist Emeritus für Politikwissenschaft an der Hebräischen Universität Jerusalem.