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Ausgabe 24/17 vom 11. Juni 2017
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„Ich dachte, wir leben in einer Demokratie, doch das war Irrglaube.“ Monatelang wurde der Wirt Sven Lohse wegen AfD-Veranstaltungen in seiner Gaststätte terrorisiert – nun hat er sein Lokal aufgegeben. Er ist nicht der erste und nicht der letzte, der erfährt, daß man nicht in einer Diktatur leben muß, um totalitäre Methoden zu erleben: von Beleidigung, Demütigung (etwa ins Gesicht spucken), Diffamierung und sozialer Ächtung über alltäglichen Terror wie beschmierte Hauswände, zerstochene Reifen, gelockerte Radmuttern, Kot im Briefkasten oder Berge von Pferdemist im Vorgarten, bis hin zu anonymen Anrufen zu jeder Tages- und Nachtzeit, allgemeinen Morddrohungen und ganz konkreten Exekutionsankündigungen, Brandanschlägen, Prügelattacken (mit anschließendem Krankenhausaufenthalt) – ja sogar Mobben und Verprügeln der Kinder (mitunter an der Schule, während die Lehrer wegschauen) –, bis hin zur vollständigen Vernichtung der sozialen und wirtschaftlichen Existenz.
Nur die krassesten Fälle schaffen es überhaupt in die Medien. Etwa die Todesdrohungen gegen Mitarbeiter des Kölner Maritim-Hotels, in dem der letzte AfD-Bundesparteitag stattfand – die Kette gelobte, die Partei nie wieder zu beherbergen. Oder eine Stuttgarter Brauereigaststätte, die nach Drohungen im Netz eilfertig versicherte, es handele sich um eine Falschmeldung: natürlich biete man der AfD weder jetzt noch in Zukunft ein Forum (das sei schlecht fürs Geschäft).
Zur Zielscheibe wird aber keineswegs nur, wer mit der AfD zu tun hat. Längst hat sich der stalinistische Faschismus-Begriff durchgesetzt: „Faschist“ ist, wer sich gegen die politisch korrekte Linie wehrt. Da werden dann sogar CDU-Gliederungen, die islamkritische Referenten einladen, ebenso vor die Tür gesetzt wie nonkonforme Verlage, die gegen den Stromlinien-Strich bürsten.
Daß Zeitungshändler, die nichtlinke Veröffentlichungen anbieten, von Rollkommandos „besucht“ werden und danach „freiwillig“ ihr Sortiment bereinigen, ist seit Jahren achselzuckend hingenommener Usus. Wer an einer Kundgebung der gender-kritischen „Demo für alle“ oder des Lebensschützer-Bündnisses „Marsch für das Leben“ teilnimmt, riskiert genauso, von Linksextremen und verhetzten Bürgern bepöbelt, bespuckt oder zusammengeschlagen zu werden wie Besucher der AfD.
Oder er muß Brandanschläge erdulden, wie 2006 jener Berliner CDU-Landtagsabgeordnete, dessen Familie nur durch Zufall dem nächtlichen Flammentod entkommen ist. Oppositionelle auszuschalten, indem man sie ächtet und ihnen die Existenzgrundlage nimmt, das trägt zweifellos Züge totalitären Alltagsterrors.
Totalitär gedacht ist auch die erzwungene Durchpolitisierung aller Lebensbereiche. Busfahrer, Sicherheitsleute, Schornsteinfeger, städtische Angestellte oder gar Sportler, denen ein falsches Wort über die Lippen kommt, riskieren Denunziation oder Karriere-Aus, auch wenn sie eigentlich unpolitisch sind – wovon etwa die ZDF-Sportmoderatorin Katrin Müller-Hohenstein ein Lied singen kann.
Oder wie im Fall des in den USA tätigen Eishockey-Nationaltorwarts Thomas Greiss, der wegen Pro-Trump-Äußerungen unter Beschuß ist. Sogar wer nichts falsch macht, kann Opfer werden, wie die Olympionikin Nadja Drygalla, die 2012 die Spiele ob ihres Freundes verlassen mußte – der war NPD-Funktionär. Selbst der damalige SPD-Bundestagsabgeordnete Sebastian Edathy, eigentlich erklärter „Kämpfer gegen Rechts“, sprach von „Sippenhaft“.
Historische Analogien zu uniformierten Schlägern vor mit Hetzparolen beschmierten Schaufenstern oder zu stalinistischen Säuberungen drängen sich unfreiwillig auf. Auch die Reaktionen der normalen Leute ähneln sich. Es gibt den Unpolitischen, der wie Sven Lohse auf die rechtsstaatliche Fassade vertraut und erst durch Gewalt und Boykott zum Einlenken gezwungen wird.
Den Mitläufer, der ohne Gesinnung dort mitmacht, wo am lautesten krakeelt wird. Den angepaßten Heuchler, der – wie während des AfD-Parteitags – morgens „Kein Kölsch für Nazis“ bekennt und abends an den AfDlern verdient. Den Denunzianten, der eifrig jeden Dissidenten meldet, weil er ein Stück vom Kuchen oder nur Fleißkärtchen sammeln will. Den Eingeschüchterten, der vorsorglich auf Distanz geht, um reibungsfrei durchs Leben zu gleiten.
Die Analogie greift dennoch nur begrenzt. Neu ist, daß es nicht – oder nur in Ausnahmen, wie in Sachen Bundeswehr-Säuberung – der Staat ist, der sich die Hände schmutzig macht. Abweichler werden in der Regel auch nicht abgeholt und eingesperrt oder mißhandelt und umgebracht.
Der Gesinnungsterror ist, wie die Internetzensur, ausgelagert: an Linksextremisten, die Häuser und Autos verwüsten und anzünden, Mißliebige an den Pranger stellen, überfallen und zusammenschlagen. An Kirchen, Lehrer und Gewerkschaften, die Andersdenkende aufspüren, ächten und ausgrenzen. An die „Zivilgesellschaft“, die allenfalls indirekt staatsfinanziert ist.
Die Politik läßt gewähren und beschränkt sich auf von den Medien eifrig transportierte Parolenausgabe. Sei es von ganz oben, wie SPD-Vize Ralf „Rechtspopulisten angreifen!“ Stegner oder der Mainzer Landtagspräsident Hendrik „die AfD ist richtig gefährlich“ Hering, den die Ehefrau des AfD-Landeschefs Uwe Junge nun in einem offenen Brief als Schreibtischtäter entlarvt hat.
Oder aber auf lokaler Ebene durch einen Brief des SPD-Kreisvorstands oder einen Anruf des CSU-Landrats, der einen Gastwirt oder Unternehmer an die fatalen Folgen für öffentliche Aufträge erinnert, sollte er die falschen Kunden oder Gäste akzeptieren.
Doch je mehr die Schrauben angezogen werden, desto stärker wächst die Zahl derer, die sich abgestoßen fühlen. Denn jede totalitäre Repression bricht zusammen, wenn eine kritische Masse von Bürgern sich verweigert.
Ich danke dem Verlag für die Erlaubnis, den Artikel hier vollständig wiedergeben zu dürfen.
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