Islamismus-Experte auf Abwegen

Stand: 16.01.2019 06:00 Uhr

Von Volker Siefert, HR

Der Frankfurter Journalist Shams Ul-Haq behauptet, undercover in mehr als 100 Moscheen die Radikalisierung von Muslimen aufgedeckt zu haben. Auf Nachfrage verstrickt er sich in Widersprüche.

Siehe zu diesem Text meinen Kommentar im Blogbereich. Ich mache diese Zweifel an Ul-Haqs Buch hier öffentlich ohne sie zu teilen.

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Shams Ul-Haq arbeitet seit mehreren Jahren für verschiedene Medien. In Deutschland nennt er als Kunden unter anderem den „Spiegel“ und das ZDF. In der „Hamburger Morgenpost“ veröffentlichte er im November einen Gastbeitrag. In Österreich soll er für die „Kronen Zeitung“ gearbeitet haben, in der Schweiz für die „Sonntagszeitung“.

Nach eigenen Angaben ist Ul-Haq vor rund 30 Jahren als Flüchtling aus Pakistan nach Deutschland gekommen und will sich über verschiedene berufliche Stationen als Autoverkäufer, Detektiv und Betreiber von Postagenturen in Hessen zum internationalen Experten für Islamismus, Terrorismus, Pakistan und den Iran entwickelt haben. Als Moslem käme er dabei weiter „als deutsche Kollegen ohne diesen Hintergrund“.

Besuch bei Asia Bibi?

Doch Zweifel sind bei seinen Angaben angebracht. So behauptet er als „Pakistan-Experte“ in einem Interview mit Vatican News , er kenne die in Pakistan wegen Blasphemie zunächst zum Tode verurteilte Christin Asia Bibi und habe sie persönlich besucht.

Ihr pakistanischer Anwalt Saif Ul-Malook erklärt auf HR-Anfrage: Kein Journalist durfte Asia Bibi während ihrer Jahre in der Todeszelle in Pakistan besuchen. Und auch jetzt, wo sie freigesprochen unter Polizeischutz an einem geheimen Ort lebt, sei das nicht möglich.

Auf HR-Nachfrage erbringt Ul-Haq keine Belege für den Besuch. Auch Vatican News muss passen: Man sei auf Ul-Haq aufmerksam geworden, „weil er in verschiedenen renommierten deutschsprachigen Medien das Wort ergriffen hatte“. Im Vorgespräch habe Ul-Haq erzählt, er habe mit Asia Bibi und ihrem Mann direkten Kontakt gehabt. „Es war uns nicht möglich, diese Behauptung zweifelsfrei zu verifizieren“, so die Redaktion.

Salafisten-Ausbildung in Leipzig?

In einem Interview mit der „Leipziger Volkszeitung“ behauptete Ul-Haq: „Es ist mir bekannt, dass die meisten Salafisten-Imame ihre Ausbildung in der Al Rahman Moschee absolvieren.“

Die Leipziger Moschee steht wegen ihrer salafistischen Bestrebungen unter Beobachtung des Verfassungsschutzes Sachsen. Aber laut Landesamt für Verfassungsschutz gibt es dort keine Ausbildungsstätte für salafistische Imame. In dieser Frage ist man sich einig mit der Al Rahman Moschee. Imam Hassan Dabbagh verneint, eine Ausbildungsstätte zu betreiben: „Das ist Quatsch.“

Ul-Haq behauptet sogar, Sachsen sei ein Zentrum des Salafismus in Deutschland, in dem Kinder zum „Terrorkampf verführt werden“ Laut LfV wiederspricht dieser Darstellung schon das reine Zahlenverhältnis: „200 Salafisten in Sachsen, 3000 in NRW.“ Anzeichen, dass Kinder zu Terroristen herangezogen werden, gibt es laut Verfassungsschutz keine.

„Fundierte Berichterstattung wird diskreditiert“

Die HR-Recherche zu Ungereimtheiten und möglichen Übertreibungen bei Ul-Haqs Äußerungen regte die Betreiberin des Islamismus-Watchblogs „Vorwärts und nicht vergessen“ , Sigrid Herrmann-Marschall, mit einem Hinweis an.

Als Beobachterin von salafistischen und islamistischen Strukturen warnt sie, dass durch unbelegte Behauptungen und übertriebene Darstellungen die kritische und fundierte Berichterstattung zu diesen Themen diskreditiert werde. Das könne dazu führen, „dass begründete Kritik an islamistischen Einflussnahmen mit Verweis auf diese Übertreibungen nicht mehr ernst genommen oder zurückgewiesen wird“.

250 Moscheen besucht?

Für sein Buch „Eure Gesetze interessieren uns nicht“, erschienen im Orell Füssli Verlag, will Ul-Haq in den vergangenen zwei Jahren unter verschiedenen Identitäten und mit geändertem Aussehen in 100 Moscheen in Deutschland, Österreich und der Schweiz recherchiert haben, um „Verknüpfungen aufzudecken, über die man in den Medien meist nichts liest“.

Im Nachgang der Veröffentlichung nennt er dann noch höhere Zahlen. So will er alleine in Deutschland in zwei Jahren 150 Moscheen plus jeweils 50 in Österreich und der Schweiz besucht haben.

Zeitliche Widersprüche

Es gibt begründete Zweifel, dass er auch nur annähernd in so vielen Moscheen recherchiert hat. So hatte Ul-Haq nach eigenen Angaben in seinem Buch ab April 2018 in Essen monatelang mit einer Journalistin in der Assalam-Moschee inkognito recherchiert. Zur selben Zeit will er sechsmonatige Recherchen in österreichischen Moscheen – und ab Anfang Juni ebenfalls sechsmonatige Recherchen in der Schweiz aufgenommen haben.

Parallel sei er in der Berliner und der Hamburger Islamisten-Szene monatelang unterwegs gewesen. Folgt man seinen eigenen Angaben, wäre er noch mitten in der Recherche gewesen, als das Buch Ende Oktober auf den Markt kam. Das Manuskript hatte er aber, nach eigenen Angaben, bereits im April 2018 beim Verlag abgegeben.

Auf Nachfrage will der Schweizer Orell Füssli Verlag auf die widersprüchlichen Angaben nicht näher eingehen und verweist auf den Autoren. Ul-Haq erklärt, er habe in dem Buch von der Realität abweichende Angaben gemacht, um seine Informanten in den Moscheen zu schützen. Allerdings wird der Leser des Buches darüber an keiner Stelle aufgeklärt.

Dreharbeiten und Recherchen in vielen Moscheen

Ab Frühjahr 2018 arbeitete Ul-Haq als „ZDF-zoom“-Reporter undercover an der halbstündigen Reportage „Hass aus der Moschee“. Für diese drehte er laut dem Sender in mehreren Moscheen in verschiedenen Bundesländern. Drei wurden dann für die Reportage ausgewählt – in Essen, Berlin und Bad Kreuznach. Eine Angabe, wie viele Moscheen es genau waren, war vom ZDF auf Anfrage nicht zu bekommen.

Wie er parallel in zwei anderen Staaten in einer vielfach höheren Anzahl von Moscheen für sein Buch recherchiert haben kann, bleibt schleierhaft. Dies gilt umso mehr, wenn man seine beschriebene Arbeitsweise berücksichtigt, wonach zu Moscheemitgliedern erst ein Vertrauensverhältnis aufgebaut werden musste. Denn Ul-Haq selbst meint: „Das braucht natürlich Zeit, denn diese Menschen sind ausgesprochen misstrauisch.“

Tausende Euro als Spenden?

Um dieses Misstrauen abzubauen, will Ul-Haq bei seinen Besuchen „sehr viel Geld“ gespendet haben. Je Moschee 100 bis 300 Euro. Das wären bei einem mittleren Wert – für 100 Moscheen jeweils 200 Euro – 20.000 Euro. Ein ungewöhnlich hoher finanzieller Aufwand, der durch den Verkauf des Buches (Auflage derzeit laut Verlag 6000) kaum reinzuholen sein dürfte.

Dazu kommen hohe Reise- und Übernachtungskosten für monatelange Recherchen. Fragen zu Zahlungen des Verlags sowie vertragsrelevante Aspekte unterliegen dem Datenschutz sowie dem Vertraulichkeitsgebot, erklärt der Verlag dazu.

Ul-Haq verweist auf das ZDF als einen weiteren Finanzier seiner ausgiebigen Recherchereisen. Der Sender bestätigt lediglich, dass mit Ul-Haq ein Festpreis vereinbart war.

Hamburger Vereine im Register aufgeführt

Ul-Haq behauptet zudem, in Hamburg gebe es hinter dem Hauptbahnhof die größte Dichte an Moscheen in Deutschland, die er kenne. Viele der Moscheen seien Vereine, manche seien nicht in das Vereinsregister eingetragen. Er beschreibt die behördliche Erfassung der Vereine als „Chaos“. Bei zehn Vereinen sei er bei den Recherchen entweder an den Behörden gescheitert, „oder es existierte schlicht kein Eintrag im Vereinsregister“.

Ein Blick in das Online-Portal der deutschen Justizbehörden ergibt ein anderes Bild. Die von Ul-Haq genannten Vereine sind dort alle zu finden. Das bestätigt auch das Hanseatische Oberlandesgericht auf HR-Anfrage.

Anstoß zur Schließung einer Moschee?

Ul-Haq behauptet zudem, dass die An'Nur-Moschee im schweizerischen Winterthur „nicht zuletzt auch als Folge meiner Recherchen und ihrer teilweisen Veröffentlichung“ geschlossen worden sei und der Imam sowie die Vorstandsmitglieder ins Gefängnis gewandert seien.

Die Staatsanwaltschaft Winterthur widerspricht und stellt fest, dass Ul-Haq nie Kontakt aufgenommen habe. Die beschriebenen Personen befinden sich auch nicht mehr in Haft.

Interview abgebrochen

Als ihm Fragen zu seinem Buch und seiner Arbeit zu unbequem wurden, brach Ul-Haq ein HR-Interview ab. Per Anwalt will er nun die Ausstrahlung des Gesprächs verhindern. Die gestellten Fragen würden die Inhalte des Buches hinterfragen und dabei unwahre Behauptungen aufstellen, teilte der Anwalt per Schreiben mit – und seien damit geeignet, „den Buchverkauf zu behindern“.

Quelle: faktenfinder.tagesschau.de

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