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Hätten die Corona-Krise und Millionen Tote verhindert werden können? Der Bericht „Covid-19: Make it the Last Pandemic“ einer unabhängigen Expertenkommission der Weltgesundheitsorganisation WHO bejaht diese Frage. In der Analyse wird deutlich gemacht, daß ein schnelleres internationales Handeln der Regierenden und beteiligten Institutionen die globale Covid-19-Katastrophe – „den Tschernobyl-Moment des 21. Jahrhunderts“– hätte verhindern können.
Das Krisenmanagement wird von dem Gremium unter der Leitung der neuseeländischen Ex-Regierungschefin Helen Clark und der liberianischen Ökonomin und Ex-Präsidentin Ellen Johnson Sirleaf als toxischer Cocktail aus fehlender Vorbereitung, extrem langsamen Entscheidungsprozessen und unfähigen Politikern charakterisiert, die nicht in der Lage sind, wissenschaftliche Erkenntnisse nachzuvollziehen. Nach der Identifikation des Sars-CoV-2 Virus in Wuhan konnte sich die Pandemie in wenigen Wochen weltweit ausbreiten.
Obwohl internationale Gesundheitskommissionen seit Jahren vor solch einer Situation warnten und auf robuste Präventionsstrategien drängten, sah sich nicht nur die politische Führung der westlichen Welt von der Wucht der Pandemie überrascht. Die Sars-Epidemie von 2003 mit einer ähnlich schnellen Verbreitung in mehr als 29 Länder war ein erster Warnschuß. Die Eindämmung der Pandemie gelang nur, weil die Coronavirus-Übertragung überwiegend von schwer Erkrankten und nicht von eher symptomlosen Personen wie bei Sars-Cov-2 getrieben wurde.
Es folgten die H1N1-Influenza-Pandemie von 2009, die Ebola-Ausbrüche in Westafrika und die Mers-Epidemie im mittleren Osten, welche viele Initiativen zur besseren Erkennung und Eindämmung anstießen. Die daraus folgenden IHR-Regeln (International Health Regulations) wurden 2005 von der WHO aufgesetzt, und modifiziert und verpflichten die unterzeichnenden Staaten zu angemessenen Maßnahmen zur Prävention als auch Eindämmung von pandemischen Ereignissen.
Die Kosten von 60 Milliarden Dollar bei der Sars-Epidemie, Kosten von 3,6 Milliarden Dollar alleine in Südkorea aufgrund von nur 185 Mers-Fällen, ließen die vom Global Health Risk Framework for the Future (GHRF) 2016 empfohlenen jährlichen Investitionen von 4,5 Milliarden Dollar in vorbereitende Maßnahmen als durchaus moderat erscheinen. Aber die zugesagten Verpflichtungen wurden weder eingehalten noch sachgerecht umgesetzt. Auch die länderspezifische Einschätzung der Fähigkeit zur Kontrolle und Eindämmung von Pandemien (Global Health Security Index) zeugt von einer fatalen Selbsttäuschung: die USA mit dem höchsten Ranking erwiesen sich zunächst als unfähig, die Covid-19 effektiv unter Kontrolle zu bekommen.
Auch die WHO wird von den 13 Experten kritisiert, zu spät gehandelt zu haben: Mitte Dezember 2019 wurden erste Fälle einer neuen Form der Lungenentzündung in Wuhan bekannt, die ersten offiziellen Meldungen gingen erst am 31. Dezember zu unterschiedlichen Institutionen. Am 2. Januar 2020 wurde das Sars-CoV-2-Genom sequenziert und kurz darauf der erste PCR-Test entwickelt. Es dauerte drei Wochen, bis die WHO Zugang zu klinischen Informationen bekam. Erst am 23. Januar kam es zu dem Lockdown der zentralchinesischen Elf-Millionen-Metropole Wuhan.
Schon Anfang Januar wurden erste Sars-Cov-2-Fälle in Thailand und Japan registriert. Es dauerte aber bis zum 30. Januar, bis die WHO den höchsten Alarmzustand (Pheic) ausrief. Im Gegensatz zu Südkorea, Singapur, Vietnam und Taiwan, die schon im Januar den Verkehr zu China kontrollierten und erste Gesundheitsmaßnahmen implementierten, reagierte der Westen nicht. Bis zu diesem Zeitpunkt hätte die Pandemie noch unter Kontrolle gebracht werden können – Millionen Tote und Billionen Dollar Kollateralschäden hätten vermieden werden können.
Selbst als viel zu spät Mitte März der Pandemiestatus von der WHO ausgerufen wurde, reagierten die westlichen Regierungen nur zögerlich: Die Regierenden und ihre Berater waren unfähig, die Bedrohung zu erkennen, zu verstehen sowie adäquate Maßnahmen zu ergreifen. Man glaubte, mit einer „Wait & see“-Strategie teure Präventionsmaßnahmen verhindern zu können. Selbst billigste Schutzmaterialien (Desinfektionsmittel, Kittel, Masken) oder Sauerstoffgeräte fehlten und konnten auch nicht schnell beschafft werden.
Es ist sicher kein Trost, daß sich die deutschen Versager in dieser Analyse leicht wiederfinden werden – bislang 88.000 Opfer, die mit oder an Covid-19 verstorben sind, wären vermeidbar gewesen. Es erscheint aber unlauter, wenn Regierungsvertreter behaupten, man hätte viel bessere Resultate als die südeuropäischen Staaten erzielt. Die Euro-„Austeritätspolitik“ hatte diese Länder gezwungen, massiv Kosten im Gesundheitssystem einzusparen und Betten zu streichen. Das hat nachweislich zu einer Destabilisierung der öffentlichen Krankenversorgungsstrukturen geführt.
Warum wurde der 2005 erstellte und 2017 aktualisierte nationale Pandemieplan von den zuständigen Stellen des CDU-geführten Bundesgesundheitsministeriums (BMG) nicht umgesetzt? Weiterhin waren die katastrophal ausgefallenen Analysen der länderübergreifenden Krisenmanagementübung („Lükex 2007“) sowie auch die Anforderungen, die sich aus der „Risiko-Analyse Bevölkerungsschutz Bund“ (Bundestagsdrucksache 17/12051) bekannt – es wurden aber keine Konsequenzen gezogen.
Eine Ermittlung des Bedarfs an persönlicher Schutzausrüstung für die ambulante Versorgung, für die Rettungsdienste und eine bedarfsgerechte Bevorratung findet seit über zwei Jahrzehnten nicht mehr statt. Vorhandenes Material wurde bei Ablauf seines Verfallsdatums nicht ersetzt. Schon diese banalen Dinge hätten zu einem sachgerechteren Krisenmanagement der Covid-19-Pandemie und zur Milderung der Folgen beigetragen. Stattdessen wurde vorhandenes Schutzmaterial noch im Februar 2020 nach China geliefert.
Weiterhin stellt sich die Frage, warum das Robert-Koch-Institut immer wieder mit großer zeitlicher Verzögerung die Anpassung des Risiko-Niveaus der WHO vornahm und erst drei Wochen nach der globalen Ausrufung das Risiko in Deutschland auf hoch stufte? Besonders absurd: Der Nutzen von Community- und Mund-Nasen-Schutzmasken (MNS) und weiterer Hygienemaßnahmen wurde wochenlang angezweifelt.
Hätte man das oben ausgeführte, frei zugängliche Wissen in der Organisationsstruktur des BMG sowie den untergeordneten Behörden aktualisiert, implementiert und allerspätestens Ende Februar 2020 entsprechende Maßnahmen veranlaßt, wären eine Verkürzung der Lockdowns, deutlich weniger Todesfälle, weniger belastende Eingriffe in Grundrechte und wirtschaftliche Abläufe die Folge gewesen.
Dieser Text erschien zuerst in der Ausgabe com 2021-05-28 der Jungen Freiheit. Ich danke Herrn PD Dr. Dr. Jörg Schierholz für die freundliche Erlaubnis, ihn hier vollständig wiedergeben zu dürfen.
Den Beitrag hatte ich zunächst zurückgehalten, um abzuwarten, bis der Link zum Archiv der JF verfügbar würde, und dann völlig vergessen. Weil er nicht nur tagesaktuell ist sondern dauerhaft relevant bleibt, reiche ich ihn mit zwei Jahren Verspätung jetzt nach.