Den Tisch trommeln – Oder Israels sechster Januar

14. Februar 2023

Von Rabbi Steven Pruzansky

Es gibt eine alte Anwaltsregel: „Wenn das Gesetz gegen dich steht, trommle auf dem Sachverhalt herum, wenn die Tatbestände gegen dich stehen, trommle auf dem Gesetz und wenn Sachverhalt und Gesetz gegen dich stehen, trommle auf dem Tisch.“

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Wir sollten die Protestwelle in Israel gegen die eingebrachten Vorschläge zur Justizreform in Israel als das Gegenstück dazu ansehen, mit der Faust auf den Tisch zu trommeln. Es wäre eine Schande, ein Vergehen gegen die Demokratie und die Demütigung einer rechtsgerichteten Regierung wenn sie das Vorhaben aus der Bahn würfe oder den Ablauf verzögerte. Diese Proteste sind Israels Gegenstück zum sechsten Januar – das Verdrängen der Demokratie durch Pöbelherrschaft – nur daß ich glaube, die Randalierer des sechsten Januar im amerikanischen Kapitol seien ein wenig aufrichtiger in ihren Überzeugungen gewesen.

Zuerst, die Tatsachen: Die Schwäche ihrer Argumente verdeutlichen die Protestierenden durch deren ständig wechselnden Charakter. Manche hassen nur zwanghaft Binyamin Netanyahu und müssen deshalb alles ablehnen, das er vertritt. Die Andeutung irgendwelche dieser Reformen könnten seine eigenen nicht endenden Gerichtsverfahren beeinflussen ist weit hergeholt und abwegig. Dieser Vorwurf wird unablässig wiederholt ohne jedoch den Hauch eines Beleges. Irgendwann, nach Jahren in der Zukunft könnte er die Zusammensetzung des Gerichtes beeinflussen? Sein Prozeß liefe dann immer noch? Er könnte Gesetze erlassen, die ihn aus der Haftung befreien – und müßte dafür keine politischen Folgen hinnehmen? In einer Demokratie kann die Antwort darauf nur mehr Demokratie lauten, nicht weniger.

Zweitens ist die Vorstellung, die vorgeschlagene Reform könnte Israels Demokratie beeinträchtigen, ebenso lächerlich und wird von denen vorgebracht, die annehmen, sie monoton immer und immer wieder zu behaupten sei selbst schon Beweis für ihre Richtigkeit. Die offensichtliche Folgerung daraus wäre, Israel sei in den ersten fünfzig Jahren seines Bestehens keine Demokratie gewesen und erst dazu geworden, als vor 25 Jahren Aharon Barak die Rechte des Volkes an sich riß und ihm ein richterliches Lehen aufbürdete, in dem ein rundes Dutzend Richter in Roben über jeden Bereich des Lebens entscheiden – Politik, Religion, Wirtschaft und Militär – anstelle der vom Volk gewählten Vertreter und ihrer ordnungsgemäß eingesetzten Koalitionsregierung.

Das klingt so lachhaft, wie es ist. Es kann keine „Gefahr für die Demokratie“ sein, wenn das Ziel ist, Israels Demokratie der Zeit vor der Revolution Baraks wiederherzustellen. Die Herrschaft weniger Oligarchen ist die Quintessenz aller Demokratie? Ist Demokratie nicht die Herrschaft des Volkes? Warum überhaupt Wahlen abhalten, wenn die Fähigkeit der vom Volk Gewählten, ihre Wahlprogramme auch umzusetzen, zunichtegemacht wird?

Die offensichtliche Antwort lautet, der Wille des Volkes wird nur dann gehemmt, wenn sie eine rechtsgerichtete Regierung wählen, die an der Tradition und der Liebe zum Volk und Land Israel festhält und bereit ist, mit starker Hand gegen unsere Feinde einzugreifen. Wann immer das Volk – sehr vereinzelt, wie die Wirklichkeit uns erinnert – eine linksgerichtete Regierung wählt, sieht das Gericht weg und ignoriert deren Exzesse in denen sie Menschenrechte mit Füßen tritt.

Somit darf drittens dieses Gerede über Bürgerkrieg und zivilen Ungehorsam, das die Gesetzgebung begleitet und in die Rechte des Volkes eingreift, nicht hingenommen werden. Israels rechter Flügel, nicht zu vergessen die „Siedler“ selbst, erlitt eine unvergeßliche Verwundung, als 9500 Juden aus ihrem Zuhause in Gush Katif und im nördlichen Shomron vertreiben wurden. Der Gerichtshof schreitet ein und blockiert die Bestrebung, einen von Beduinen illegal errichteten Zaun, um mehr Land an sich zu nehmen, zu entfernen, und übergeht die Vertreibung tausender Juden aus ihren Wohnungen?

Verschont uns vor den Krokodilstränen und den Plakaten, die diese Reform zum Anlaß eines Bürgerkriegs und Bedrohung der Demokratie verunglimpfen. Wenn die Rechte nicht einmal während der Vertreibung aus Gaza einen Umsturzversuch der demokratischen Abläufe unternahm (obwohl dieser schändliche Vorgang eine Zersetzung der Demokratie darstellte) dann sollte die Linke damit nicht wegen Änderungen des gerichtlichen Besetzungsverfahrens und Begrenzung seines Kompetenzbereiches [der ihn in Einklang mit deutschen und anderen Regeln weltweit brächte FAB] drohen. Das wäre kein Bürgerkrieg wegen Sklaverei oder das Geschick der Nation; es ist das Drohen mit Bürgerkrieg von Leuten die – genau wie am sechsten Januar – das Ergebnis einer demokratischen Wahl nicht anerkennen, in der jene, die für die Regierung stimmten, die Reformvorschläge genau kannten und ihre Stimme in diesem Sinn abgaben.

Darüber hinaus sollten wir zweifellos die Behandlung der heutigen Aufständischen jener der gegen die Vertreibung aus Gush Katif Protestierenden gegenüberstellen. Letzteren wurde erklärt, ihr Widerspruch sei ein Bruch der demokratischen Regeln. Tausende wurden gefangengenommen und weitere Tausende wurden durch von der Regierung willkürlich gesperrte Straßen und Versammlungspunkte ferngehalten. Die Protestierenden gegen die Justizreform dagegen werden gehätschelt, man erlaubt ihnen, nach Belieben Kreuzungen zu blockieren, den Zeitplan und das Leben anderer umzuwerfen und sie werden von den Medien gefeiert.

Jeder, der sich fragt, wo das Mißtrauen der Rechten gegen den Gerichtshof und die Leitmedien herkommt, muß nicht weiter suchen als bis zum Unterschied in der Behandlung dieser beiden Gruppen. Aharon Barak zeigte keinerlei Sympathie für das Leid der Siedler in Gush Katif, entkleidete sie ihrer Menschenrechte, erlaubte ihre Vertreibung, die Zerstörung ihrer Wohnungen, die Auslöschung ihrer Gewerbe und das Entwurzeln der Toten aus ihren Gräbern. Das ist keine Gleichheit vor dem Gesetz sondern reine Machtpolitik, grausam und niederträchtig zudem. Gleichheit vor dem Gesetz hieße, die Gesetze gegen zivilen Ungehorsam einheitlich über das politische Spektrum hinweg anzuwenden.

Viertens ist die Gefahr eines ernsten Schadens für die Wirtschaft objektiv gesehen absurd – es sei denn sie würde von ebendiesen selbstmörderischen Aktivisten vorangebracht. Das erinnert an das Wort eines Historikers, der in anderem Zusammenhang sagte, die Demonstranten versuchten „in der wirklichen Welt eine Katastrophe auszulösen, um eine mythische Katastrophe abzuwenden“. Wenn überhaupt ist Investoren an einem stabilen Wirtschaftsklima gelegen, in dem Verträge geachtet werden – keines, in dem ein Gericht den Vertragspartnern einseitig seine Sicht eines Abkommens gegen dessen klaren Sinngehalt und Absicht auferlegt, nur weil es selbst das so möchte.

Die Reformen werden das Wirtschaftsklima stärken, es sein denn die Protester sabotierten in ihrem Wahn und ihrer Wut mutwillig ihre eigenen Unternehmen und Israels Wohlstand. Leider ist im Nahen Osten selbstmörderisches Fehlverhalten nicht unbekannt. Und wenn es tatsächlich einen kurzfristigen Abschwung gäbe? Wir haben Pharao überlebt und werden auch dies überleben, besonders in einer Welt, in der Israels Know-How begehrt wird und Millionen Menschen zugutekommt.

Fünftens haben die übertriebenen und lächerlichen Klagen absichtlich Politiker in aller Welt verleitet, sich in Israels innere Angelegenheiten einzumischen, ein recht befremdliches Schauspiel. Es hat sogar Präsident Joe Biden zur Forderung veranlaßt, Israels Parlament solle nur im Rahmen eines nationalen Konsens’ handeln. Möglicherweise hatte er vergessen – seine Worte werden in der Regel von anderen geschrieben – daß er in den Vereinigten Staaten die seine Regierung charakterisierenden Gesetze ohne Konsens allein auf eine schmale Demokratische Mehrheit gestützt erließ. Ja, das muß er wohl vergessen haben, bevor er anfing, uns über unsere Gesetzgebung zu belehren.

Das beste, das die Regierung jetzt tun könnte, wäre – neben der Verhaftung und Gefängnisstrafe für jene, die Straßen und Autobahnen versperren – die Gesetze schnell zu verabschieden. Zwei Wochen später werden die Menschen zu einem anderen Thema übergehen. Die Verhandlungen über Gesetzesnovellen finden in Parlamentsausschüssen statt. Jene, die es vorziehen zu boykottieren, zu brüllen, zu blockieren und einzuschüchtern aber keine stichhaltigen Angebote vorbringen, haben das Recht verwirkt, ihre Ansichten dort gehört zu finden, wo es zählt – in der Knesset nicht auf der Straße. (Die Tatsache, daß so viele der Wortführer des Protestes, einschließlich der Politiker unter ihnen, in der Vergangenheit selbst ähnliche Reformen gefordert hatten, unterstreicht nur die Scheinheiligkeit der Linken und die Posse, die sie politisch inszenieren.)

Nichts in Israel wird sich ändern und die Neigungen und politischen Vorlieben der Menschen werden weiter durchkreuzt, wenn nicht die Zuständigkeit des Gerichts begrenzt und eine Aufhebungsklausel verabschiedet wird. [In Deutschland kann das Parlament mit einer qualifizierten Mehrheit die geschriebene Verfassung ändern. FAB] Ohne dies wird jede Gesetzgebung einschließlich der Zusammensetzung des Auswahlgremiums vom Gericht umgestoßen, das sich, zu unrecht, für die letztentscheidende Macht im Land hält.

Demnach muß die Knesset ein Gesetz erlassen, das die Aufhebung von Gerichtsurteilen erlaubt. Wo liegt das notwendige Quorum? Eine berechtigte Frage, aber rechtfertigt es einen Bürgerkrieg, ob die Grenze nun bei 64 oder bei 67 Abgeordneten liegt? [In Deutschland sind es zwei Drittel, bezogen auf die Knesset also 80. FAB] Das wäre genauso absurd. Natürlich, 64 sieht zu bequem aus, das ist die derzeitige Knessetmehrheit der Regierungskoalition. Aber wenn die Grenze bei 65 oder 67 liegt, dann muß auch eine Mehrheit von 13 oder 14 Richtern [von 15] gefordert werden (nicht 12), um ein von der Knesset verabschiedetes Gesetz außer Kraft zu setzen. [In Deutschland entscheidet das Verfassungsgericht mit einfacher Mehrheit, in besonders eingriffsintensiven Fällen mit zwei Dritteln, umgerechnet also 10 von 15. FAB]

Schließlich werden die Politiker, wenn ein Gesetz der Knesset ganz ungeheuerlich ausfiele, einen hohen Preis bei der nächsten Wahl zu zahlen haben, an denen es in Israel keinen Mangel gibt. Nur Richter werden, wie weit sie ihre Arroganz auch treiben, niemals zur Verantwortung gezogen. Jene, die der Allgemeinheit keine Rechenschaft schulden, sollten sich gerade damit zurückhalten, ihr die eigene Sichtweise aufzuoktroyieren und nicht begierig und tendenziös jede Gelegenheit dazu suchen.

Und natürlich sollte es in einer Zivilgesellschaft keine einzelne Person geben, die, wie der Generalstaatsanwalt, einseitig über das Recht verfügt, der Regierung vorzuschreiben, was sie zu tun oder zu lassen hat, Gesetze zu fordern oder zu annullieren. Warum eine Regierung wählen, wenn die Macht derart auf eine Person konzentriert bleibt?

Es fällt schwer, sich nur einen Wähler der derzeitigen Regierung vorzustellen, der an den Protesten teilnimmt, sie unterstützt oder Verständnis für sie hätte. Wir sehen hier die sauren Trauben schlechter Verlierer, die eher Israel als einen jüdischen Staat und und blühende Demokratie zerstören wollen als zuzusehen, wie eine rechtsgerichtete Regierung mit genau dem Auftrag Erfolg hat, für den sie gewählt wurde. Sie haben keine Achtung für die Wahl des Volkes, warum also sollten sie die Zeit, das Leben und die Existenzgrundlage ihrer Mitbürger achten?

Ich hoffe, daß die kleine Zahl der Protestierenden – ja, ein kleiner Mob im Vergleich zu dem Bevölkerungsteil, der für die Regierung gestimmt hat – den Anstand besitzt, mit dem Herumtrommeln auf dem Tisch aufzuhören, daß die Regierung die Kraft und den Mut besitzt, die Reformen rasch umzusetzen und wir dahin zurückkehren können, die wahren Bedrohungen die unseren Frieden, Wohlstand und Heiligkeit bedrohen, zu überwinden.

Quelle: Arutz Sheva .
Übersetzung aus dem Englischen: FAB.

Rabbi Steven Pruzansky war bis zu seiner kürzlichen Alia nach Israel das geistliche Oberhaupt der Gemeinde Bnai Yeshurun in Teaneck, New Jersey. Er dient als Israels Vertreter, Vizepräsident und Senior Rabbinic Fellow bei der Coalition for Jewish Values.

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