Israels Demokratie ist in Gefahr – aber nicht aus dem Grund, den Ihr glaubt.

16. Februar 2023

Von Abu Yehuda

Die Lügen, die über Israel verbreitet und von wohlmeinenden aber schlecht informierten Menschen oft geglaubt werden, beschreiben nicht das Israel, das ich kenne. Die wahren Absichten der Feinde Israels müssen offengelegt werden. [Abu Yehuda]

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Israels neue Regierung wird gerade in den Medien von einem Blitzkrieg ohne Vorbild überzogen mit dem Schwerpunkt auf dem Versuch, die Gewaltenteilung zwischen der Judikative und der Legislative (der Knesset) wiederherzustellen. „Wenn diese Regierung nicht fällt“, sagt Oppositionsführer Lapid , „wird Israel aufhören, eine freiheitliche Demokratie zu sein“ und seine künstlerischen, kulturellen und Wirtschaftseliten würden nach Berlin und Miami fliehen. David Horowitz , der Herausgeber und Chefredakteur der englischsprachigen Times of Israel schrieb, die Vorschläge „stimmten das Totengeläut unserer blühenden aber unzureichend verschanzten Demokratie an“. Der ehemalige Verteidigungsminister Benny Gantz nannte den Plan einen „coup d’état“, sagte, er werde einen Bürgerkrieg auslösen und rief Gegner auf „auf die Straßen zu gehen“. Esther Hayut , Präsidentin von Israels höchstem Gericht (Supreme Court), behauptete

{…} dies ist ein Plan, um das Rechtssystem auseinanderzureißen. Seine Absicht ist, der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der richterlichen Gewalt im Staat einen tödlichen Schlag zu versetzen und als Zweig der Rgierung zum Schweigen zu bringen.

Selbst Alan Dershowitz , ein Unterstützer Premierminister Binyamin Netanyahus, stellt sich dem Reformplan mit dem Argument entgegen, er gefährde „bürgerliche Freiheiten und Minderheitenrechte“.

1948 setzte Israels Unabhängigketserklärung eine verfassungsgebende Versammlung ein mit dem Auftrag, eine Landesverfassung zu erstellen. Sie traf sich nur viermal, gab dann, 1949, auf und wandelte sich selbst in die erste Knesset um. Praktische Regeln, wie der Staat zu organisieren sei, sollten in eine Reihe von Grundgesetzen aufgenommen werden, die dann (so die Theorie) eines Tages in eine Verfassung umgewandelt werden würden. Das erste Grundgesetz regelte die Verfahrensordnung der Knesset und trat erst 1958 in Kraft.

Israel hatte seit seiner Gründung ein oberstes Gericht. Es ist, wie der Supreme Court der USA, das höchst Berufungsgericht aber kann auch als Gerichtshof, „Bagatz“ zusammentreten. Der Bagatz kann Recht setzen, er darf Angelegenehiten entscheiden, über die kein niederes Gericht vorher gesessen hatte. Bis zur Mitte der Achtzigerjahre beschränkte sich das auf Fälle, die von Einzelpersonen oder Organisationen mit eigener Rechts“|stellung vorgebracht wurden, also denen, die nachweisen konnten, sie seien von Regierungsvorhaben selbst direkt betroffen. Die Rechtsprechung war zudem auf Rechtsfragen begrenzt, also nicht solche politischer Wertungen. Diese Voraussetzungen wurden aufgeweicht und ein unklares Kriterium der „Vernünftigkeit“ angenommen, das dem Gericht großen Spielraum verlieh, Aktionen und politische Leitlinien zunichtezumachen, die ihm ganz einfach nicht gefielen. Aber ohne einen verfassungsmäßigen Prüfstein, an denen sie gemessen werden konnten, versuchte der Gerichtshof nicht, von der Knesset erlassene Gesetze aufzuhaben.

Das änderte sich in der Mitte der Neunziger. 1992 erließ die Knesset zwei neue Grundgesetze, die sich mit Menschenrechten befaßten, nicht nur Verfahrensfragen des Staates, das Grundrecht Menschenwürde und Freiheit und das Grundrecht auf Berufsfreiheit. Diese Grundrechte wurden in Anwesenheit nur weniger der 120 Knessetabgeordneten entschieden. (Menschenwürde und Freiheit hatte 32 Prostimmen bei 21 Ablehnungen und einer Enthaltung und Berufsfreiheit 23 Zustimmungen ohne Gegenstimme und ohne Enthaltung.) Ich bin sicher, das Interesse wäre größer gewesen, hätten die Abgeordneten geahnt, welcher Gebrauch von diesen Gesetzen gemacht werden würde!

In einer Reihe von Übersichtsartikeln trieb Richter Aharon Barak (der 1995 Gerichtspräsident werden sollte) die Doktrin voran, die beiden neuen Grundgesetze lieferten eben den fehlenden Prüfstein, an dem Gesetze der Knesset auf ihre „Verfassungsmäßigkeit“ geprüft werden konnten. Er nannte dies ausdrücklich eine „Verfassungsrevolution“ und 1995 setzte das Gericht zum ersten Mal ein Gesetz der Knesset wegen Verfassungswidrigkeit außer Kraft. Die Doktrin wurde in einer ganzen Reihe kontroverser Urteile erweitert von denen einige – wie das Urteil 2002, eine rechtsgerichtete Radiostation zu schließen – politischer nicht hätten sein können.

Heute kann jeder (man muß weder Bürger noch wenigstens Einwohner sein) das Gericht wegen nahezu jeden Regierungshandelns oder Gesetzes anrufen. Auslandsfinanzierte NGOs haben erfolgreich Eingaben im Namen von Palästinmensern mit zweifelhaften Bodenansprüchen eingereicht und den Abbruch jüdischer Gemeinschaften sowie die Vertreibung ihrer Mitglieder erzielt.

Die juristische und gerichtliche Oberschicht verfügt zudem über große Macht auf dem Weg der Rechtsberater. Die Regierung, das Parlament und jedes einzelne Minsterium müssen eine solche Stelle einrichten. Der Rechtsberater der Regierung wird im Englischen als der „Attorney General“ [Generalstaatsanwalt, amerikanisch auch Justizminister] bezeichnet aber seine Befugnisse gehen weit über die des Attorney General der USA hinaus. Zum einen sind seine „Ratschläge“ rechtlich bindend! Daneben kann der AG, wenn die Regierung vor Gericht steht, frei entscheiden, ober er deren Position vertreten will, oder nicht. Der AG ist ebenfalls der Leiter der Staatsanwaltschaft und ihm obliegt die letzte Entscheidung, ob Regierungsbeamte, denen Straftaten vorgeworfen werden, strafrechtlich belangt werden sollen. Die Rechtsberater in den Minsterien, deren Ratschläge bindend sind, sind Staatsbeamte und können ohne die Erlaubnis des AG nicht entlassen werden. Es ist keine Übertreibung, zu erklären, der Generalstaatsanwalt dürfte die mächtigste Person im Regierungsapparat sein, den Premierminister eingeschlossen.

Die Richter am Obersten Gerichtshof werden von einem neunköpfigen Gremium unter dem Vorsitz des Justizministers bestimmt. Mehrheitlich vertreten sie das etablierte Justizwesen, darunter drei Mitglieder des amtierenden Supreme Court. Der Generalstaatsanwalt wird vom Justitsminister aus einer Auswahlliste von fünf Bewerbern bestimmt, von denen mindestens drei dem etablierte Justizwesen angehören und die von einem Auswahlgremium vorausgewählt wurden. Der Kontrollkreis ist geschlossen.

Dieses gesamte Gebäude hat, mit Ausnahme des Auswahlgremiums, seine Grundlage nicht in von der Knesset beschlossenen Gesetzen sondern in Urteilen, die von den Gerichten selbst gefällt wurden.

Die Befürwortetr des gegenwärtigen Systms werden dir erzählen, es sei „professionell“ und nicht „politisch“ oder „ideologisch“, aber in Israel ist alles politisch.

Der nicht gewählte Gerichtshof, Generalstaatsanwalt und die ministeriellen Rechtsberater haben sich in zahlreiche Regierungsentscheidungen und Amtsbesetzungen eingemischt und teilweise sicherheitskritische Abteilungen zum Stillstand gebracht. Als nur ein Beispiel wurden alle Bemühungen der Regierung, illegale Einwanderer auszuweisen oder Anreize zur freiwilligen Ausreise zu geben, vom Gerichtshof mattgesetzt, der nacheinander vier von der Knesset erlassene Gesetze umstürzte.

Der Vorschlag des neuen Justizministers Yariv Levin beabsichtigt, das Gleichgewicht zwischen Regierung und Legislative (Knesset) auf der einen Seite und der Judikative auf der anderen wiederherzustellen. Er beseitigt die gerichtliche Prüfung der Gesetzgebung keineswegs, sondern verankert sie erstmals in den Grundgesetzen und der Verfassung. Daneben schafft er [wie in jedem anderen Land, FAB] eine Möglichkeit für die Knesset, unter bestimmten, festgelegten Bedingungen das Verfassungsgericht zu überstimmen. Der Vorschlag schafft daneben den unklaren Maßstab der „Vernünftigkeit“ ab. Er ändert die Zusammensetzung des Auswahlgremiums, um die inzestuöse Ämterbestzung zu beenden. Schließlich macht er die Ansichten des Generalstaatsanwaltes zu Ratschlägen ohne rechtliche Bindung.

Diese Änderungen würden nicht „die Demokratie zerstören“, aber sie würden die nahezu absolutistische Macht beenden, die das Justizwesen über die Regierung ausübt, eine Macht die man durchaus undemokratisch im Extrem nennen könnte. Nicht um einen coup d’état handelt es sich sondern eher um die Beendigung des Staats“|streiches um den Vorrang der gewählten Knesset wiederherzustellen, den das Juristenestablishment sich in den 1980ern und Neunzigern angemaßt hat. Dies ist besonders wichtig für eine Mitte-Rechts-Regierung, die sich von einem linksgerichteten Obergericht und dem juristischen Establischment der Handlungsfähigkeit beraubt sieht.

Den Kritikern des Levin-Vorschlages stimme ich jedoch zu, wenn sie sagen, Israel stehe heute einer Krise gegenüber, die seinen demokratischen Charakter gefährde. Die Gefahr jedoch geht nicht von einer längst überfälligen Wiederherstellung der Machtverhältnisse zwischen den Armen der Staatsgewalt aus sondern von der Gegenreaktion jeder, die verstehen, in Israel könnte erstmals in seiner Geschichte eine Politik rechts der Mitte umgesetzt werden – und die nahezu alles zu tun bereit sind, um das zu verhindern.

1977 wandelte sich Israel von einem sozialistischen Einparteienstaat – zeitweise geradezu einer Diktatur – in eine echte Demokratie, als der langjährige Oppositionsführer Menachem Begin Premierminister wurde. Viele seiner Stimmen kamen aus der Mizrachigemeinschaft, von denen die meisten in den Fünfzigern und Sechzigern eingewandert waren und endlich begannen, sich im Land zu etablieren. Die Mizrachim und die jüngeren Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion neigten dazu, rechtsgerichtete Parteien zu unterstützen, beendeten die politische Vorherrschaft der Parteien vom linken Flügel und boten Politikern wie Netanjahu eine solide Basis. Aber die etablierten Eliten der akademischen, Medien-, kulturellen und juristischen Institutionen waren nicht bereit, die Kontrolle aufzugeben über das, was sie für ihren Staat hielten. Und eine der Möglichkeiten, die ihnen blieb, war der Weg über das Rechtssystem. „Warum wählen wir rechts und bekommen trotzdem linke Politik?“ fragten viele. Das ist der Grund.

Die jüngste, hektische, geradezu verrückte Opposition gegen die Veränderung kommt aus der Erkenntnis, daß endlich, gut 45 Jahre nach der Wahl Menachem Begins, das Spiel der elitären Oberhand über den Staat zum Ende kommen könnte. Aber sie werden nicht kampf“|los einlenken. Rechnet mit Demonstrationen, Provokationen und schmutzigen Gemeinheiten.

Quelle: Abu Yehuda
Übersetzung aus dem Englischen: FAB.

Abu Yehuda ist der Name, unter dem der jüdische Israeli Victor Rosenthal seine Blogs schreibt. Nach 26 Jahren in Kalifornien kehrte er im August 2014 nach Israel zurück. Das Thema seines Blogs ist seit 2006 der jüdische Staat und sein Überlebenskampf in einer unfreundlichen Welt.

Ich danke Herrn Rosenthal für die Erlaubnis, seine Inhalte hier weiterzuverteilen. Sein Blog steht unter abuyehuda.com.

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