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Dieser Brief als PDF.
Den Hintergrund finden Sie in dieser Pressemeldung.
Sehr geehrte Frau Prof. Grütters,
Sie machen als Amtsträgerin einem einzelnen Anbieter in einem vielfältigen Markt schwere Vorwürfe und sagen konkret: „Wenn Titel aus Empfehlungslisten gestrichen und Lieferungen verzögert werden, um Rabattforderungen durchzusetzen, ist dies völlig unakzeptabel.“
Wann, Frau Prof. Grütters, haben Sie das letzte Mal irgendeine Warengruppe bei irgendeinem Einzelhändler selbst gekauft? Egal ob Lebensmittel, Kraftfahrzeuge, Bekleidung oder Elektrogeräte, kein einziger Händler führt alle Marken aller Anbieter und Hersteller im Sortiment. Und ja, bei allen sind deren Händlerkonditionen und mögliche Gewinnspannen ein wichtiger Teil der Auswahlentscheidung. Was genau werfen Sie Amazon also vor?
Einen Skandal gibt es in der Sache allerdings wirklich, einen, um den Sie einen großen Bogen machen und den Sie mit keiner Silbe erwähnen. Wenn ich bei meinem lokalen Buchhändler vor Ort etwas bestelle, dann schicke ich ihm meistens einen Amazon-Link. Und ich bin bei weitem nicht der einzige, viele andere Kunden halten es genauso. Warum? Seit vielen Jahren und in etlichen Anläufen versucht der Verband des Buchhandels, für Kunden einen brauchbaren und zugänglichen Katalog der lieferbaren Bücher auf die Beine zu stellen. Bis jetzt ist er kläglich damit gescheitert. Ja, ich kenne professionelle Buchhändler, die, um ein bestimmtes Buch zu finden, eher die Suche bei Amazon als die des eigenen Großhändlers bemühen.
Und hier liegt das Problem. Amazon bietet eine hochwertige aber kostenlose Dienstleistung, derer sich die eigene direkte Konkurrenz gern bedient. So, durch Kundennähe und Qualität, ist leicht Monopolist werden. Und wem gebührt der Vorwurf daraus? Amazon doch wohl ganz sicher nicht. Wenn der andere Buchhandel und die Verlage selbst an der einfachsten Basisdienstleistung scheitern, dann sollen sie über den nicht jammern, der es besser macht und dessen Kunden vollständig zufrieden sind.
Ich erinnere mich noch gut, wie mein Vater englischsprachige Literatur kaufte. Er fuhr jedes Mal dreißig Kilometer zum nächstgelegenen großen Hauptbahnhof und fand im Keller der dortigen Buchhandlung ein einziges Regal mit spärlicher Auswahl vor. Gefordert wurden absolute Phantasiepreise von rund dem Vierfachen des Preises im Ursprungsland. Erst der Druck durch Amazon brachte deutsche Groß- und Einzelhändler unter Zugzwang und zum Umdenken. Als Schüler im Englischunterricht war ich damals (ich bin wenige Jahre älter als Sie) so privilegiert wie ein DDR-Kind mit Westverwandtschaft.
Und auch wenn mir klar ist, daß der erste Eindruck das Gegenteil nahelegt, ist meine einzige Beziehung zu Amazon die als langjähriger und zufriedener Kunde. Mit populistischem Bashing werden Sie jedenfalls nicht viel ausrichten können; der einzig zuverlässige Weg, sicherzustellen, daß Ihre Bürger Trabant statt Opel fahren, ist, eine Mauer zu bauen. Erfahrung damit liegt im aktuellen Bundestag ja vor.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr
Axel Berger