Vom Volksempfinden zum -gerichtshof

2020-02-25

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Ich gebe es zu, mangels persönlicher Betroffenheit interessiert mich der Fall Weinstein nicht besonders und weit weniger als er möglicherweise sollte. Der Umgang mit ihm weckt allerdings beängstigende Erinnerungen. Gerade wurde der heute 67-jährige zu mindestens 5 und bis zu 25 Jahren (Das Strafmaß wird erst im März verkündet.) verurteilt. Das aber ist Milena Hassenkamp vom Spiegel bei weitem nicht genug:

Der Fall Weinstein belegt in mehrfacher Hinsicht, dass das amerikanische Justizsystem Frauen nicht ausreichend vor männlicher Gewalt schützt. Zunächst taten sich die Staatsanwälte in New York schwer damit, eine Anklage aufzubauen, da manche der Taten verjährt waren, Frauen nicht aussagen wollten, oder Fälle außerhalb des Bundesstaates stattgefunden hatten. Dann war es schwer, mehrere Frauen zu finden, deren Geschichten ausreichend glaubwürdig waren – und am Ende scheiterte das entscheidende Urteil genau daran.

Auf solche formaljuristischen Einschränkungen darf der gesunde Volkszorn keine Rücksicht nehmen. Haben wir von Freisler, Jezhov und Wyschinskij denn gar nichts gelernt? Milena Hassenkamp jedenfalls meint nein und möchte dem Mangel abhelfen. Nachdem Stürmer und Prawda das Urteil gesprochen haben, hat die Justiz gehorsam zu folgen. Allem Anschein nach nach ist nicht nur sie durchaus erfolgreich dabei.

Wie gesagt, der Fall Weinstein selbst interessiert mich nicht weiter, sehr wohl aber die parallel verlaufenden Entwicklungen, wo es um Politik, Weltanschauung und Wahlen geht. Wir blicken heute auf 10 000 Jahre Zivilisation und 5000 Jahre schriftlich überlieferte Geschichte zurück. Das sollte reichen, um zu erkennen, welche Arten von Regierungs-, Gesellschafts- und Rechtssystemen den langfristigen Normalfall darstellen und welche die kurzlebige Ausnahme bilden. Was unsere Generation, in unserem Teil der Welt gelernt hat, als normal zu empfinden, ist wirklich nur der seltene Sonderfall gewesen und wird, genau wie wir selbst, bald vergessen sein.

Trotz dieser Erkenntnis, laßt uns darum kämpfen, daß es anders kommen möge.

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