Zum Seitenende Übersicht Kommentare Home & Impressum
Wie ist hier in Köln, der Stadt, wo ich die Lage am besten kenne, die derzeitige Situation? Wir haben in einer Millionenstadt weniger als tausend Menschen, die für jeweils vierzehn Tage ohne unnötigen Kontakt zu Hause bleiben müssen, und 18 Einweisungen (43 am 2020-03-26) ins Krankenhaus. Das ist nicht nur nichts, das ist weniger als nichts. Um die konkrete, aktuelle Situation geht es also gar nicht, es geht ganz allein und ausschließlich um die nahe Zukunft. Derzeit verdoppelt sich die Zahl der Fälle in Köln alle 2,7 Tage und das kann nicht lange folgenlos so weitergehen. Bei allen ergriffenen Maßnahmen kommt es also allein darauf an, welchen Erfolg sie in den nächsten Wochen und Monaten haben. Eine jetzt sichtbare Wirkung ist nicht möglich, wo nichts ist kann man auch nichts verbessern.
Schäden und negative Folgen haben die Eingriffe aber auch heute schon. Die ersten Konkurse und Zusammenbrüche sind bereits da. Wenn wir schon unvermeidlich Schaden anrichten müssen, dann sollten wir es dann tun, wenn es den meisten Nutzen bringt. Sind solche Überlegungen nicht zynisch, geht es dabei nicht allein ums Geld? Nein! Ganz im Gegenteil. Genau dieselben Leute, die sonst um fast nicht meßbaren Feinstaub und Dritthandrauchen[1] ein Riesenbohei veranstalten, tun jetzt so, als sei ein Wirtschaftszusammenbruch vollkomen folgenlos. Sowohl in Chernobyl als auch in Fukushima sind mehr als tausendmal so viele Menschen an den direkten und indirekten Folgen von Umsiedlung und Evakuierungen vorzeitig gestorben wie an Strahlenschäden. Bei allen Maßnahmen ist nicht nur der mögliche Nutzen zu sehen, sondern immer auch der angerichtete Schaden und dessen Folgen für Leben und Gesundheit.
Grundsätzlich diskutieren wir jetzt zwei verschiedene Vorgehensweisen zum Umgang mit der Lage mit zwei grundsätzlich verschiedenen Zielsetzungen.
Die erste davon ist die Mitigation oder Abschwächung. Bei der Mitigation wird nichts verhindert. Ein sehr großer Teil der Gesamtbevölkerung wird die Krankheit, mit fast immer leichtem Verlauf, durchmachen und danach für einige Zeit immun sein. Das Ziel aller Eingriffe ist ausschließlich, den Höhepunkt der Welle so weit abzuflachen und zu verlängern, daß das Gesundheitssystem nicht überfordert wird, sondern den Ansturm bewältigen kann. Danach wird die Krankheit, wie so viele andere auch, dauerhaft aktiv bleiben aber der Anteil der jeweils noch nicht Immunisierten und die Zahl der gleichzeitig neu Angesteckten steigt nie mehr auf eine epidemische Höhe an. Wir leben mit vielen solchen Krankheiten, die immer wieder einmal den einen oder anderen erwischen und vorbeigehen.
Entscheidend bei Eingriffen zur Mitigation ist, sie nur zu ergreifen, wenn sie für diesen Zweck notwendig und wirksam sind. Das ist je nach Effektivität zum Beispiel eine Woche bevor die Zahl mit der aktuellen Anstiegsrate die Belastbarkeitsgrenze erreicht oder bei einem Zehntel bis Fünftel der maximal gleichzeitig behandelbaren Fälle. Zu früh ergriffene Maßnahmen behalten alle ihre Schadensfolgen ohne einen nennenswerten Nutzen zu zeigen. Oder sie werden zu früh beendet, müssen zu früh beendet werden, und bringen den Nutzen gerade dann nicht, wenn er am meisten gebraucht wird.
Das Ziel der Suppression oder Unterdrückung ist ein anderes. Hier gilt es, die Weiterverbreitung der Krankheit völlig zu stoppen und den Erreger in der Bevölkerung vollständig zu eliminieren. Wenn das erreicht wird, ist danach ein normales Leben wieder möglich. Die gesamte Bevölkerung bleibt dabei aber genauso empfindlich wie vor dem ersten Auftreten und der Erreger muß auf Dauer vollkommen eliminiert bleiben. Bei den Pocken ist das weltweit, bei Polio und Ebola fast überall gelungen.
Wenn dieses vollständige Aussterben des Erregers nicht erreicht werden kann, dann müssen die Maßnahmen zu seiner Unterdrückung auf unbegrenzte Zeit und ohne Lockerung permanent weitergeführt werden. Bei HIV/Aids ist genau das der Fall. Die dafür nötigen Maßnahmen sind aber zumutbar und erfordern auch dauerhaft keine unerträglich tiefen Einschnitte, weder für die Gesamtbevölkerung noch die Risikogruppen.
Beim Erreger CoV-2 ist nach meiner Einschätzung beides nicht der Fall. Weder läßt er sich weltweit in absehbarer Zeit ganz ausschalten, noch sind Maßnahmen der aktuellen Schwere länger als einige wenige Wochen oder Monate durchzuhalten. Damit fällt der Weg der Suppression aus und das Augenmerk ist auf die Mitigation zu richten.
Alle derzeitigen Maßnahmen sind aber auf eine Unterdrückung ausgerichtet und nicht beliebig lange durchzuhalten. Die Gefahr dabei ist, daß sie zwangsläufig irgendwann zusammenbrechen und vielleicht genau dann, wenn die Welle losbricht und eine Abschwächung dringend nötig wäre. Möglicherweise sind wir selbst dazu dann nicht mehr imstande. Schon jetzt richten die Maßnahmen womöglich schon mehr Schaden an, als sie Nutzen erbringen, aber im gerade gezeichneten Szenario riefen sie den schlimmstmöglichen und vollkommen unabgeschwächten Verlauf erst hervor.
Es gibt andere Sichtweisen mit zum Teil sehr guten Argumenten. Ich zitiere sie in meinem Wissenschaftsblog . Es ist keineswegs sicher, daß ich mit meiner Einschätzung recht habe. Auf jeden Fall ist es aber nötig, für jede einzelne Maßnahme die Ziele und Folgen klar zu benennen und im Auge zu behalten. Ein aktionistisches „Wir machen einfach alles und dann sehen wir mal weiter“ ist in höchstem Maße unverantwortlich.
Zum Anfang Übersicht Kommentare Home & Impressum