Zum Seitenende Übersicht Kommentare Home & Impressum
Neben allen anderen hat gerade natürlich auch die Taz über die neuesten Pisaergebnisse berichtet. Meinen Leserkommentar hat die Moderation diesmal sogar durchgehen gelassen:
Der erschreckende Abfall der Schulleistungen ist eine unbestreitbare Tatsache, entsprechend wichtig die Frage nach den Ursachen. Mir ist nur eine einzige, größer angelegte Studie bekannt, die nicht punktuell die Lieblingshypothese des Autors zu belegen versucht sondern ergebnisoffen alle über nur denkbaren Einflüsse einbezieht. Sie stammt aus dem Jahr 2016 in Großbritannien. Hier ist ein Bericht der BBC und die Primärquelle.
Überraschend und gegen alle Erwartung spielt keiner der hier im Artikel diskutierten sozialen Einflüsse eine Rolle. Es gibt nur einen einzigen Parameter von prognostischem Wert: Wenn dem Elternhaus das Lernen und die Schule wichtig sind, ist das Kind erfolgreich, wenn nicht, dann nicht. Das allein erklärt einen großen Teil des Elterneinflusses insbesondere bei akademischen Bildungsbürgern.
In Deutschland kommt ein zweiter Effekt dazu. Die hier wieder geförderte „Förderung der sozial Schwachen“ findet statt, in Deutschland aber im Sinne des „alle mitnehmen“ und „keiner bleibt zurück“, was in der Praxis auf nichts als eine ständige Niveauabsenkung hinausläuft. Wer heute die Schule abschließt und etwas kann und weiß, der hat das zum großen Teil im Elternhaus gelernt. Früher, gut (wenn auch extrem kritisch) beschrieben in Hesses „Unterm Rad“, konnte die Schule, Fleiß und Zielstrebigkeit vorausgesetzt, auch Kinder aus benachteiligten Elternhäusern fördern. So hat es meine Mutter gegen den eigenen Vater („Was soll ein Mädchen auf der höheren Schule?“) bis zur Abteilungsleitung in der chemischen Industrie gebracht. Das gibt es heute nicht mehr.
Und, was soll ich sagen, nur drei Tage später kam eben diese Zeitung mit genau dem vorhersehbaren Vorschlag an. Wenn nichts gelehrt und nichts mehr geprüft wird, dann kann auch keiner durchfallen:
Pisa wird mieser
Die neue Pisa-Studie ist da, und Bildungsdeutschland schreit auf: 15-Jährige sind in der Schule so schlecht wie noch nie in der Untersuchung. In allen drei Kategorien, Mathe, Lesen und Naturwissenschaften, nahm die Leistung der Schülerinnen ab. Das tut sie seit 2015 kontinuierlich. Ein Zeichen, das Schulsystem zu ändern. Denn vielleicht ist es okay, wenn nicht jeder mit 15 Lust auf den Satz des Pythagoras hat. Weil a2 + b2 = im Leben nicht so wichtig.
Immerhin, diesmal bin ich selbst unter Tazlesern nicht der einzige geblieben. Einige andere Stimmen, eine mehr als auf die Finger einer Hand passen, gehen in dieselbe Richtung. Im Gegensatz zur homerischen Kassandra stehe ich nicht mehr ganz allein da. Ein schwacher Trost, gehört werden auch wir nicht.
***
Es gibt einen Unterschied zwischen deutschen Kindern und Kindern in deutschen Schulen. Immer mehr Kinder sprechen bei der Einschulung kein Deutsch und viele Eltern interessiert das überhaupt nicht. Desweiteren ist ja quasi jeglicher Druck verpönt. Lehrer vermeiden, schlechte Noten zu geben, da sie dann erstens Ärger mit den Eltern bekommen und zweitens einen individuellen Förderplan erstellen müssen. Auch kann man z.B. in Gesamtschulen in NRW bis zur 9. Klasse nicht sitzen bleiben. Da sind schlechte Noten ja egal und entsprechend fehlt Grundlagenwissen (z.B. Dreisatz, einfache Geometrie, Bruchrechnung), die man auch in eher einfachen Berufsausbildungen benötigt.
„Emsch“
***
Als Lehrerin an einer Hauptschule sehe ich bei sozial schwachen Familien und Familien mit Migrationshintergrund sehr häufig eine generelle Schul- und Lernverweigerung über Generationen hinweg. Der Zweck und Nuzten eines Schulabschlusses ist un diesem Millieu vielen nicht bewusst. Wir als Eltern erreichen diese Familien kaum. Das Jugendamut ist überlastet. Mit 15 Jahren so alt wie die Pisa getesteten haben wir die Schüler längst verloren. Bei den sozial schwachen Familien betrifft es vor allem die Jungs bei den Migranten mehr die Mädchen. Die durchsetzten der Schulpflich auch mit autoritativen Mitteln und der Ausbau der Ganztagesschulen sind überfällig.
„83Mimimia“
***
Die Ergebnisse haben mich nicht überrascht und die Ursachen liegen wesentlich tiefer als der relevante Anteil an Flüchtlingskindern in den Schulen (die jetzige Studie stammt aus 2022, da gab es an den Schulen kaum Flüchtlinge aus der Ukraine) und auch die soziale Benachteiligung erklärt bei weitem nicht alles auch wenn es es für ein reiches wie Deutschland ein Skandal ist.
Wenn in 10. Klassen am Gymnasium in Mathematik die Schülerinnen einfache Prozentrechnung oder die Berechnung der Flächeninhalts eines Dreiecks nicht beherrschen und es sich auch nicht eine Woche merken (wollen), dann haben wir ein massives Problem bei der Motivation für und der Akzeptanz von Schule und Bildung bei der Schülerschaft. Bildung wird immer mehr als Konsumartikel gesehen, man lässt sich im Unterricht berieseln und danach möchte man nicht behelligt werden. Hausaufgaben machen oder gar Inhalte wiederholen und lernen werden als Zumutung empfunden, von Kindern wie Eltern. Lernen ist aber intellektuelle Arbeit und kein Konsumprodukt.
Der Ball liegt dabei nicht allein bei Schülerinnen und Eltern, auch Schule und Lehrkräfte müssen ihren Teil beitragen und sich bemühen die Schülerinnen in ihrer Lebenswelt abzuholen. Schwierig wird es aber wenn man nicht abgeholt werden will weil am Ende eben doch auch Arbeit und Mühen wartet und nicht Zocken und TikTok.
„Ressourci“
***
Ich will einfach nur einmal Mathematik herausgreifen; da habe ich schon während der Schulzeit jahrelang selber Nachhilfe gegeben und vor kurzem (30 Jahre später) wieder.
Meine Erkenntnis: Als ich an der Schule war hatten wir Übungsbücher die aus ca 400 Seiten eng beschriebenen Rechenaufgaben bestanden; von „Titze Walter Feuerlein“; immer noch in meiner Erinnerung, weil einer meiner Vorgänger daraus „Der Titze und der Walter machen ein kleines Feuerlein“ gemacht hatte.
Hausaufgaben waren von unserem damaligen Mathelehrer sowas wie: Alle Aufgaben auf Seite 16-19 letzte Spalte; das waren dann vielleicht 40 einfache Rechnungen.
Als ich letztens wieder einmal Nachhilfe gegeben habe, stellte ich fest, dass es in den Übungsheften (Bücher kann man die bei diesem winzigen Umfang nicht mehr nennen) zu einem Thema im besten Fall vielleicht 10 Aufgaben gab… und das wars.
Worauf will ich hinaus: Schulmathematik bis zur Oberstufe ist ziemlich einfach; allerdings braucht man viel Übung… und “Übung“ ist unmodern weil: Das ist ja nur mechanisches abarbeiten; völlig unkreativ; ein Relikt aus den Zeiten des Frontal-Unterrichts… und überhaupt: In der heutigen Zeit kann doch niemand ernsthaft verlangen, dass ein Schüler eine halbe Stunde lang, langweilige Übungsaufgaben einfach nur runterrechnet. Was soll das überhaupt: Es gibt doch Taschenrechner!
Statt dessen stellt man lieber langatmige Textaufgaben; deren Bearbeitung erfordert zwar kaum Mathematik-Können aber dafür umso mehr Sprachverständnis.
Und danach wundert man sich darüber, dass so etwas wie PISA feststellt, dass die Ergebnisse beim Mathematik-Können schlecht sind.
Aber was rede ich mir den Mund fusselig: Das hat mir vor 20 Jahren schon keiner geglaubt. Also immer weiter so: Unsere Meinung steht fest, bitte verwirren sie uns nicht mit Tatsachen.
„lundril“
***
Türkische Kinder sprachen damals im Alltag eben oft Deutsch, lebten in vornehmlich von Deutschen bewohnten Vierteln, hatten deutsche Freunde und konsumierten deutschsprachige Medien. Sprachekompetenz ist eben das A und O. Überdurchschnittlich waren sie allerdings auch damals schon nicht und lagen zusammen mit Italienern eher im unteren Mittelfeld. Das deutsche Schulsystem kann sonst was anstellen. Wenn die Motivation und die Anreize nicht aus dem Elternhaus gesetzt werden, wird es ganz schwierig. Selbst totalitäre Ansätze wie in der DDR, um Ergebnisgleicheit als Gerechtigkeit zu erreichen, sind noch immer an den Elternhäusern gescheitert. Ich verweise mal ganz vorsichtig auf die vietnamesische und chinesische Community deren SuS immer weit überdurchschnittlich bei uns wie in allen anderen westlichen Ländern abschneiden. Kann ich bei uns in der Familie ja exemplarisch bewundern.
Šarru-kinu
***
’Die „deutschen“ Schüler stehen durchaus gut da.’
Dieser Aussage widerspreche ich aus direkter eigener Erfahrung: Gymnasium, keine relevante Zahl an Schülerinnen mit Migrationshintergrund oder sozial abgehängtem Elternhaus und trotzdem sind Leistungsbereitschaft und Leistungsvermögen bei der Mehrzahl der Kinder nicht vorhanden. Unterricht wird wie alles andere im Leben konsumiert, wird es aufgrund der Forderung selbst zu arbeiten und zu denken anstrengend,dann wird abgeschaltet und die Flucht zum Handy und der Aufenthalt auf der Toilette gesucht. Über die Ihnen zumutbare Hausaufgabenzeit wissen schon die Achtklässler genau Bescheid und rebellieren wenn es mal mehr ist.
Neugier und Eigenmotivation, zumindest in Mathe und Physik, – Fehlanzeige.
Das Abholen funktioniert auch mit Themen aus der Lebenswelt der Kinder bei vielen Kindern nicht, die wollen sich nicht zum Lernen und konzentrierten Arbeiten abholen lassen.
Generation TikTok, Instagramm und Influencing lassen grüßen.
„Ressourci“