Abmahnunwesen – offener Brief an RA Kompa

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Sehr geehrter Herr Kompa,

ich unterstütze Ihren Kampf um die Meinungsfreiheit und habe mich Ihrem Aufruf folgend an den Kosten beteiligt. Dennoch erscheint mir dieser Prozess irrelevant und an zwei Stellen an den eigentlichen Problemen vorbeigehend.

Das Abmahnunwesen ist eine rein deutsche Spezialität, die nirgendwo sonst auf der Welt in vergleichbarer Form existiert. Es ist ein Sonderrecht, das von Ihrem gesamten Berufsstand, trotz gelegentlich öffentlich geheuchelter Krokodilstränen, aktiv gefördert und unterstützt wird. Warum auch nicht? Nicht allein die Abmahnanwälte profitieren davon, sondern bei jedem einzelnen Prozess, und oft genug lange vorher bei der Beratung, auch die der Gegenseite. Welcher Berufsstand kassiert denn letztlich die von ihnen gerade eingesammelte Summe und wird somit auch von mir gerade wieder gemästet? Juristen stellen 100 % der Judikative, eine überwältigende Mehrheit der Exekutive, und sind mehr oder weniger die größte Gruppe in der Legislative. Hätte der Stand tatsächlich ein auch nur geringstes Interesse an der Behebung des Mißstandes, er verfügte wie kein anderer über die Mittel dazu.

Zweitens zeigte der monierte Link nicht auf einen Beitrag des ZDF, sondern auf eine unter Verstoß des Urheberrechts erstellte illegale Kopie davon. Sie taten dies nicht aus freier Wahl sondern aus Mangel an Alternativen. Es muß in einem freien Rechtsstaat möglich sein und bleiben, das öffentliche Wort eines anderen zu diskutieren und zu kritisieren. Damit eine solche Kritik ihren Sinn behält, muß es dem Leser möglich sein, beide Seiten, vor allem aber das kritisierte Original, selbst lesen zu können. In der Vergangenheit war dies nie ein Problem, das öffentliche Wort besaß eine inhärente Permanenz. Jeder Leser konnte Flugblätter des siebzehnten Jahrhunderts aufbewahren und sie existieren in den Bibliotheken noch heute. Dies ist – in vollständigem Widerspruch zu seinem eigentlichen Zweck – mit dem World-Wide-Web anders geworden. Ohne urheberrechtlich bedenkliche oder verbotene Kopien kann ein Autor heute mit einem Schlag ein in großer Auflage verteiltes "Flugblatt" verschwinden lassen und ungeschehen machen. Orwells Vision von 1984 ist Wirklichkeit und das weit einfacher, müheloser und wirkungsvoller, als er es erträumen konnte. So etwas steht in eklatantem Widerspruch zu allen Regeln des WWW, siehe Cool URIs don’t change, Web Pages Must Live Forever, und URL as UI. Diese bewußt und künstlich geschaffene Möglichkeit, nachträglich die Geschichte zu bereinigen, muß endlich abgeschafft werden und das geht nur mit dem Recht, zu Dokumentationszwecken angefertigte Kopien nicht nur besitzen sondern bei Bedarf auch zitieren zu können. Die dokumentierten Beweise für Zensur und Fälschungen des russischen Stalinismus wären in Zukunft nach deutschem Recht nicht mehr möglich. Verfolgt wurden sie allerdings von Stalin auch schon, insofern ist also alles beim alten geblieben.

Im Falle des öffentlich-rechtlichen Fernsehens kommt dabei hinzu, daß hier eine aus Zwangsgebühren bezahlte Leistung, auf die der Gebührenzahler einen Anspruch hat, vernichtet und verweigert wird.

Mit freundlichen Grüßen Ihr Axel Berger

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